Erkenntnisse zur Anwendung der ESRS in Deutschland

ESRS als Rahmenwerk für die nichtfinanzielle Berichterstattung
Eigentlich sollten in der aktuellen Berichtssaison die ersten Nachhaltigkeitsberichte auf Basis der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und den diese auslegenden Europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards (ESRS) in Deutschland veröffentlicht werden. Daraus wird zumindest auf Basis einer Verpflichtung nichts, da der Gesetzgeber es versäumt hat, die CSRD rechtzeitig für das Geschäftsjahr 2024 in das HGB umzusetzen. Gleichwohl waren viele der kapitalmarktorientierten Unternehmen, die eine Anwendungspflicht für die Erweiterung des (Konzern-)Lageberichts um einen qualitativ höherwertigen und vergleichbareren Nachhaltigkeitsbericht nach den ESRS für das Berichtsjahr 2024 erwartet haben, mit der Umsetzung der ESRS bereits sehr weit fortgeschritten, als die Nichtumsetzung deutlich wurde. Viele dieser Unternehmen haben daher die Möglichkeit genutzt, ihre nun nach § 289b bzw. 315b HGB weiter nötige nichtfinanzielle Berichterstattung vollständig oder zumindest in Anlehnung an die ESRS auszugestalten.
Studie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Deloitte und DRSC
Deloitte und das DRSC sind nun dabei, die Praxis der Nachhaltigkeitsberichterstattung nach CSRD/ESRS in Form einer Analyse börsennotierter Unternehmen für das Geschäftsjahr 2024 zu analysieren. Dazu wurde ein nun dritter Zwischenbericht auf Basis von 128 analysierten Berichten am 15.5.2025 veröffentlicht, der wertvolle Tendenzen zeigt, die auch für später verpflichtete Unternehmen von großer Relevanz sein werden.
Schwerpunkt der Untersuchung ist die Berichterstattung von börsennotierten Unternehmen (DAX40, MDAX, SDAX), die bereits vollumfänglich nach ESRS berichtet haben. Die Autoren gehen davon aus, dass Unternehmen abgleichen werden, zu welchen Ergebnissen andere Unternehmen bei ihrer Wesentlichkeitsanalyse gekommen sind. Ferner ist zu erwarten, dass Unternehmen Aufbau und Umfang der ESRS-Berichterstattung hinterfragen werden, um Dopplungen zu vermindern und die Lesbarkeit zu erhöhen. Unternehmen, die künftig berichtspflichtig werden, können die Ergebnisse der Studie zur Orientierung nutzen, bei der eigenen doppelten Wesentlichkeitsanalyse sowie bei der Entwicklung der Berichterstattung. Schließlich soll die Studie einen Beitrag zur Auslegung der Berichtsvorgaben leisten sowie zu deren Überarbeitung durch das Omnibus-Verfahren und die Umsetzung in deutsches Recht.
Die Erkenntnisse des Zwischenberichts
Der knapp überwiegende Teil der bislang veröffentlichten Berichte wurde unter inhaltlicher und formaler Beachtung der ESRS aufgestellt (51 %). Weitere 44 % haben an die ESRS angelehnte Nachhaltigkeitsberichte veröffentlicht und lediglich 5 % der Berichte wurden ohne Beachtung der ESRS veröffentlicht. Die Angaben werden ganz überwiegend in einem gesonderten Abschnitt im Lagebericht gemacht (69 %), mit nur einzelnen freiwilligen bzw. verpflichtenden Verweisen auf Abschluss bzw. Lagebericht. Eine integrierte Berichterstattung im Sinne von sehr umfangreichen Verweisen auf den Konzernlagebericht findet damit kaum statt (1 %).
Die durchschnittliche Seitenanzahl bei den Nachhaltigkeitsberichten der nach ESRS berichtenden Unternehmen liegt mit 130 deutlich über den vorab in Umfragen vernommenen ca. 60-100 Seiten. Die Spannbreite reicht von 29 bis 313 Seiten.
Die Anzahl der als wesentlich eingeschätzten ESRS-Themenstandards liegt zwischen 3 und 10 Themen. Durchschnittlich wurden 6 ESRS-Themenstandards als wesentlich identifiziert. Im Rahmen der doppelten Wesentlichkeitsanalyse wurden die ESRS-Themen
- Klimawandel (E1), [99 %]
- Arbeitskräfte des Unternehmens (S1) [100 %] und
- Unternehmensführung (G1) [97 %]
von fast allen Unternehmen als wesentlich eingestuft.
Die Anzahl der wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen (Impacts, Risks and Opportunities, IROs) variiert sehr stark, insgesamt zwischen 5 und 118 IROs. Die Unternehmen haben insgesamt durchschnittlich 43 IROs (16 negative, 12 positive Auswirkungen sowie 5 Chancen und 10 Risiken) identifiziert. Die Formulierungen der IROs beschränken sich bei manchen Unternehmen auf kurze Aussagen, z. B. „Anstieg der CO2-Emissionen“. Bei anderen Unternehmen werden die IROs detaillierter umschrieben, indem bspw. separat auf die Scope-1-, Scope-2- sowie Scope-3-Emissionen eingegangen wurde.
Die ESRS enthalten insgesamt 82 Angabepflichten (engl.: „Disclosure Requirements“), davon sind 12 aus ESRS 2 berichtspflichtig, 70 aus den themenspezifischen ESRS unterliegen einem Wesentlichkeitsvorbehalt. Die bislang analysierten Berichte beachten durchschnittlich 39 von 70 Angabepflichten, davon
- 15 von 32 Angabepflichten zu Umwelt,
- 20 von 32 zu Soziales und
- 4 von 6 zu Governance.
Bei der Benennung der Angabepflichten zeigt sich ein heterogenes Verständnis in der Berichtspraxis.
92 % der bislang veröffentlichten Berichte unter vollständiger Beachtung der ESRS wurden einer freiwilligen, inhaltlichen Prüfung unterzogen. Die Prüfung mit begrenzter Sicherheit (limited assurance) überwiegt (77 %). Keine Prüfung führte zu einem eingeschränkten Prüfungsvermerk oder einem Versagungsvermerk.
Zu den zusammengefassten – auch größen- und branchenspezifisch gegliederten – Ergebnissen der Studie:
In eigener Sache: Wie treibe ich Nachhaltigkeit im Unternehmen voran?
In der News-Reihe "Aktuelles zur Nachhaltigkeitsberichterstattung" fasst Herr Prof. Dr. Müller monatlich die neusten und relevantesten Entwicklungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung prägnant für Sie zusammen. Weitere aktuelle Ausgaben:
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