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Retten Banken die nachhaltige Wirtschaft? Oder nur sich selbst?


Retten Banken die Nachhaltigkeit

Zwischen Rückrudern der EU-Regulierung und Kreditlogik gewinnt Sustainable Finance an Gewicht. Banken und Versicherer agieren als Korrektiv und Katalysator – aus Risiko- und Renditemotiven. Alexander Kraemer fragt: retten sie Nachhaltigkeit – oder nur ihr Geschäftsmodell?

Wenn Regulierung der Hebel der Transformation sein sollte, dann steht der Hebel dieser Tage etwas schief im Scharnier. Wir haben es alle gesehen: Die EU rudert zurück, die einst groß angekündigte Welle der Nachhaltigkeitsregulierung wird kleiner, seichter. Wer noch vor zwei Jahren dachte, der Gesetzgeber werde Unternehmen und Finanzwelt mit einer Sturmflut an ESG-Verordnungen vor sich hertreiben, erlebt ein Zurückrudern, chaotische Aussagen und Entwicklungen, die Unsicherheit schüren.

Und jetzt? Mitten in dieses Vakuum platzt eine Frage, die zuletzt auf LinkedIn heiß diskutiert wurde: Sind es vielleicht die Banken, die nun die Rettung der Nachhaltigkeit in der Hand haben? Belohnen sie nachhaltiges Wirtschaften? Nicht, weil sie plötzlich zu Philanthropen werden, sondern weil nachhaltige Finanzierung aus purem Eigeninteresse und aufgrund des echten Marktpotenzials funktionieren könnte.

Der Zauber des Eigeninteresses

Die Studie „Nachhaltige Kreditprodukte“ der TU Darmstadt aus dem Jahr 2023 legt nahe, dass nachhaltiges Wirtschaften von Banken belohnt wird. Dabei erzählen mir Bankenvertreter genau das Gegenteil. Ich bin weiterhin verwirrt – was stimmt denn nun?

Beides, denn hier zeigt sich ein möglicher, doppelter Mechanismus: Einerseits schützen Banken ihre Portfolios vor Klimarisiken – eine nüchterne Risikosteuerung. Andererseits eröffnen sie neue Geschäftsfelder. Denn wer heute Finanzierungen für erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft oder nachhaltige Infrastruktur ermöglicht, baut sich zugleich Märkte von morgen. Nachhaltigkeit ist also nicht nur Schadensbegrenzung, sondern auch Wachstumsstrategie.

Gesetze sind vielleicht verhandelbar - Beziehungen auf jeden Fall

Hier liegt der spannende Punkt: Regulierung ist am Ende ein politisches Ringen. Gesetze können verwässert, verschoben oder zurückgenommen werden. Wenn sie einmal in Kraft getreten sind, muss ich mich als Unternehmen erst einmal daran halten, sonst muss ich Strafen zahlen. Geschäftsbeziehungen sind dagegen verhandelbarer. Wenn es um viele Millionen geht, höre ich von Nachhaltigkeitsmanager:innen, dass das Thema Nachhaltigkeit gerne mal zurückgestellt wird – es kann auch bis Q4 im übernächsten Jahr warten, erst einmal muss Business gemacht werden. Wer einen Kredit braucht, muss mit seiner Bank reden. Wer Zulieferer für einen Großkunden sein möchte, muss dessen Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllen. So die Theorie. Die Realität ist teilweise auch so, teilweise auf dem Golfplatz wegverhandelt.

Bei all dieser Ambivalenz, glaube ich fest daran, dass die Rolle von Banken sich aktuell verändert. Ein großer Teil der Banken, Versicherungen und Konzerne der Realwirtschaft wird erneut zum Treiber der Transformation, weil sie Informationen und Aktionen direkt einfordern. Einerseits geschieht dies aus eigener Regulierung heraus (bei Banken), andererseits aus der Motivation heraus, die Lieferkette und das eigene Ökosystem zukunftsfähiger zu machen.

Zwischen Risikomanager und Chancenentwickler

Man könnte also sagen, dass Banken und Konzerne in eine Doppelrolle schlüpfen. Sie wirken als Korrektiv, indem sie dort Anforderungen stellen, wo die Politik zurückrudert. Gleichzeitig sind sie Katalysatoren, da sie Nachhaltigkeit zur Bedingung für Geschäftsbeziehungen machen. Aber sie sind eben auch Möglichmacher: Ohne Kapital werden keine Solarparks gebaut und ohne Kredit wird keine Umstellung auf grüne Stahlproduktion finanziert.

Hier steckt die eigentliche Chance. Sustainable Finance zwingt nicht nur zur Risikominimierung, sondern öffnet zugleich Investitionsräume, in denen Innovationen beschleunigt werden können. Wer Nachhaltigkeit ernsthaft in die Kreditlogik integriert, wird zum Architekten von neuen Märkten.

Eine Rettung oder eine Verschiebung?

Damit stellt sich die Leitfrage neu: „Rettet“ Sustainable Finance am Ende die Nachhaltigkeit oder verschiebt es nur die Logik von der Politik zu den Geschäftsbeziehungen? Vielleicht retten Banken und Konzerne nicht die ganze Nachhaltigkeit, wohl aber ihre eigene Stabilität und ziehen die Unternehmen mit, weil niemand außerhalb der Lieferkette oder ohne Kredit überlebt. Gleichzeitig eröffnen sie Räume für Geschäftsmodelle, die ohne nachhaltige Finanzierung nie aus der Nische kämen.

Ein offenes Ende

Vielleicht liegt die Wahrheit wie so oft dazwischen. Sustainable Finance ist weder Messias noch Zynikerin, sondern ein System mit eingebautem Eigeninteresse. Aber genau dieses Eigeninteresse kann, und das macht es spannend, positive Nebenwirkungen für Gesellschaft und Wirtschaft haben.

Und damit endet die Debatte dort, wo sie begann: im Ungefähren. Sustainable Finance rettet vielleicht die Nachhaltigkeit, vielleicht aber auch nur das eigene Geschäftsmodell. Vielleicht beides. Vielleicht keines von beiden.

Fest steht nur: Während Regulierung leiser tritt, spielen Banken, Versicherungen und Großunternehmen lauter. Ob daraus das Orchester der Transformation wird oder „nur“ ein klug gemanagtes Risiko das bleibt abzuwarten.

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