Rz. 127

Stand: 5. A. Update 4 – ET: 04/2023

Die Einordnung von Umsatzforderungen als Insolvenzforderungen oder Masseforderung hängt davon ab, ob die Forderungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens "begründet" i. S. d. § 38 InsO sind.

Der V. Senat des BFH knüpft dabei nicht an die Leistungsausführung an (so noch der VII. Senat des BFH, Urteil vom 16.01.2007, Az: VII R 7/06, BStBl II 2007, 745 im Zusammenhang mit dem insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 S. 1 InsO; vgl. auch Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 9. Aufl. 2021, 207 ff.; Kahlert, DStR 2015, 1485), sondern an die vollständige Verwirklichung des Umsatzsteuertatbestandes (der VII. Senat des BFH schloss sich dem im Urteil vom 25.07.2012, Az: VII R 29/11, BStBl II 2013, 36 zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung an).

Dies führt bei der Ist-Besteuerung, wenn die Leistung vor Insolvenzeröffnung ausgeführt wurde, die Forderung jedoch erst nach Insolvenzeröffnung vereinnahmt wird, dazu, dass der Umsatzsteueranspruch als Masseforderung zu qualifizieren ist, da zum Tatbestand der Umsatzsteuerforderung die Vereinnahmung gehört und mithin dessen vollständige Verwirklichung erst nach Insolvenzeröffnung erfolgte (vgl. BFH vom 29.01.2009, Az: V R 64/07, BStBl II 2009, 682).

Bei der Soll-Besteuerung gelangt der BFH über die Konstruktion einer "rechtlichen Uneinbringlichkeit" zur gleichen Rechtsfolge. Da spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 80 Abs. 1 InsO das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen auf den Insolvenzverwalter übergehe, sei ab diesem Zeitpunkt der leistende Unternehmer nicht mehr in der Lage, das Entgelt für seine Leistung zu vereinnahmen. Insofern bestehe sein Unternehmen aus mehreren Unternehmensteilen – nämlich der Insolvenzmasse, ggf. einem freigegebenen Vermögen sowie einem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil – zwischen denen einzelne umsatzsteuerliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Diese Erwägungen veranlassten den BFH in seinem Urteil vom 09.12.2010 (Az: V R 22/10, BStBl II 2011, 996, bestätigt durch BFH vom 24.11.2011, Az: V R 13/11, BStBl II 2012, 298;) entgegen der bisherigen Rechtsprechung auch bei Insolvenz des leistenden Unternehmers in Bezug auf seine noch offenen Forderungen (rechtliche) Uneinbringlichkeit i. S. d. § 17 UStG zu bejahen (vgl. hierzu kritisch Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 9. Aufl. 2021, 212 ff.; Adam, UR 2020, 492; Kahlert, DStR 2015, 1485; Kahlert/Onusseit, DStR 2012, 334; Schmittmann, ZIP 2011, 1125; i.E. zustimmend Stadie, UR 2013, 158, u. a. mit dem Argument, dass sonst bei Vereinnahmung der Gegenleistung der Insolvenzmasse der volle Umsatzsteuerbetrag zugutekäme, der Steuergläubiger für diese Umsatzsteuerforderung aber nur eine Quote bekäme; Seer, DStR 2016, 1289 unter dem Gesichtspunkt der Steuerneutralität und zur Vermeidung einer unzulässigen Beihilfe).

Dies hat zur Folge, dass für die noch offenen Entgeltforderungen für erbrachte Leistungen des leistenden Unternehmers der Steuerbetrag nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 S. 1 UStG zu berichtigen ist. Hierdurch entsteht ein Steuererstattungsanspruch, den der Fiskus zur Aufrechnung mit Insolvenzforderungen nutzen kann (der Aufrechnung steht das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht entgegen a. A. Roth, DStR 2017, 1768 f.). Im Ergebnis mindert dies die offenen Forderungen des FA. Vereinnahmt der Insolvenzverwalter später das Entgelt, ist der Steuerbetrag erneut nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG zu berichtigen, was jetzt aber eine Masseverbindlichkeit des Fiskus i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet.

Die Finanzverwaltung hat diese Grundsätze in Abschn. 17.1 Abs. 11 UStAE und AEAO zu § 251 Nr. 9.2. übernommen.

Gegen die Rechtsprechung des V. Senats wandte sich vor allem das FG Berlin-Brandenburg in seinen Entscheidungen vom 02.04.2014 (Az: 7 K 7337/12, EFG 2014, 1427) und vom 15.01.2015 (Az: 5 K 5182/13, EFH 2015, 1847) mit dem Vorwurf der Unionsrechtswidrigkeit. Der V. Senat des BFH nutzte sein Urteil vom 24.09.2014 (Az: V R 48/13, BStBl II 2015, 506) um dem entgegenzutreten. Der für die Revision zuständige XI. Senat des BFH wies die Kritik des FG Berlin Brandenburg in seiner Revisionsentscheidung ebenfalls zurück (Urteil vom 01.03.2016, Az: XI R 21/14, BStBl II 2016, 756).

Nach Auffassung der Finanzverwaltung muss der Leistungsempfänger dagegen, trotz Änderung der Bemessungsgrundlage beim Leistenden, seinen Vorsteuerabzug (ausnahmsweise) nicht korrespondierend korrigieren (vgl. Abschn. 17.1 Abs. 15 UStAE; kritisch Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 9. Aufl. 2021, 213).

 

Rz. 128

Stand: 5. A. Update 4 – ET: 04/2023

In seinem Urteil vom 24.09.2014 erstreckte der BFH (Urteil vom 24.09.2014, Az: V R 48/13, BStBl II 2015, S. 506) seine Doppelberichtigungsjudikatur auf den Beginn des Insolvenzeröffnungsverfahrens und auch auf die Vorsteuer. Die Finanzverwaltung setzte bereits mit BMF-Schreiben vom 20.05.2015 (BS...

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