Rz. 85

Stand: 5. A. – ET: 12/2018

Der Vorsteuerabzug aus Rechnungen ist für den Rechnungsempfänger grundsätzlich nur möglich, wenn die in der Rechnung angegebene Anschrift (Sitz) des Rechnungsausstellers richtig ist, da das für den Vorsteuerabzug erforderliche Tatbestandsmerkmal der Leistung eines anderen Unternehmers für die Verwaltung leicht und eindeutig nachprüfbar sein muss. Besondere Probleme treten daher für den Fall auf, dass es sich bei der angegebenen Anschrift um einen Scheinsitz handelt. Unter der angegebenen Anschrift muss wirtschaftliche Aktivität entfaltet werden. Ein Scheinsitz liegt vor, wenn unter dem angegebenen Firmensitz weder Geschäftsleitungs- und Arbeitgeberfunktionen, Behördenkontakte und Zahlungsverkehr stattfinden (vgl. BFH vom 27.06.1996, Az: V R 51/93, BStBl II 1996, 620; zu diesen Kriterien ausführlicher FG Köln vom 22.10.2008, Az: 4 K 1367/05, EFG 2009, 370). Die Richtigkeit der Anschrift muss dabei in zeitlicher Hinsicht sowohl bei Ausführung der Leistung als auch bei Rechnungsstellung zutreffend sein (vgl. BFH vom 01.02.2001, Az: V R 6/00 (NV), BFH/NV 2001, 941). Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer trägt die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen, ihn trifft die Obliegenheit, sich über die Richtigkeit der Geschäftsdaten zu vergewissern. Einen Gutglaubensschutz hat die Rechtsprechung bisher abgelehnt (vgl. BFH vom 01.02.2001, a. a. O.). Ein Vorsteuerabzug soll demnach trotz Gutgläubigkeit auch dann ausscheiden, wenn feststeht, dass Leistender und Rechnungsaussteller identisch und die in Rechnung gestellte Leistungen tatsächlich durchgeführt worden sind, aber die in der Rechnung angegebene Anschrift des Leistenden im Zeitpunkt der Rechnungsausstellung und Leistungserbringung nicht oder nicht mehr besteht. Zur Auffassung der Verwaltung vgl. auch Abschn. 15.2a Abs. 2 und 6 UStAE.

 

Rz. 86

Stand: 5. A. – ET: 12/2018

Mit Urteil vom 06.12.2007 (Az: V R 61/05, BStBl II 2008, 695) hat der BFH ergänzend festgestellt, seine bisherige Rechtsprechung hinsichtlich eines Scheinsitzes des Leistungsgebers habe sich zwar ausdrücklich nur auf den Fall einer GmbH bezogen, der Grundsatz der Rechtsformneutralität der Umsatzsteuer gebiete es jedoch, diese Anforderungen an alle Unternehmer gleichermaßen zu stellen. Im Urteilsfall hatte ein Italiener zwar in Deutschland ein Gewerbe angemeldet, nach den Feststellungen des FG (Vorinstanz FG Düsseldorf vom 21.09.2005, Az: 5 K 4658/01 U, EFG 2006, 610) betrieb er unter der angegebenen Adresse jedoch tatsächlich kein Unternehmen, sondern befand sich dort nur ein Büroservice. Bei der Lieferung von Fahrzeugen erzeugte er dadurch den Eindruck, diese seien von der inländischen Firma geliefert worden und erteilte Rechnungen mit offenem Steuerausweis (Verschleierung eines i. g. Erwerbs). Der BFH lehnte den Vorsteuerabzug des inländischen Leistungsempfängers wegen des "Scheinsitzes" des Leistungsgebers (natürliche Person) ab. Dabei hat er es offen gelassen, ob ein "Briefkasten-Sitz" mit postalischer Erreichbarkeit des Unternehmers nach den Umständen des Einzelfalls als hinreichende Adresse des leistenden Unternehmers überhaupt in Betracht kommen kann, da im Urteilsfall detaillierte Feststellungen die Annahme eines Scheinsitzes rechtfertigten. Den Vorsteuerabzug aus Billigkeitsgründen lehnte der BFH gleichfalls ab, da dem Leistungsempfänger bekannt war, dass der Leistungsgeber einen Wohnsitz in Italien hatte und auch dessen Handy-Nummer eine italienische Vorwahl hatte. Diese Umstände hätten Anlass zu erhöhter Sorgfalt sein müssen. Ausdrücklich offen gelassen hat der BFH dabei, ob Angaben in Rechnungen überhaupt einem Gutglaubensschutz unterliegen können (vgl. Weimann, UStB 2008, 211 – Gutglaubensschutz soll wohl grundsätzlich möglich sein, dann aber in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH zu § 6a Abs. 4 UStG [EuGH vom 27.09.2007, Rs. C-409/04 Teleos, UR 2007, 813] und an den Vorsteuerabzug bei Karussellgeschäften [BFH vom 19.04.2007, Az: V R 48/04BStBl II 2009, 315] nur für den Fall, dass der Unternehmer die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns beachtet hat und nur bei "aktivem" guten Glauben, d. h., wenn der Unternehmer alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug einbezogen sind.).

 

Rz. 87

Stand: 5. A. – ET: 12/2018

Der 4. Senat des FG Köln hat in zwei Entscheidungen vom 06.12.2006 (Az: 4 K 1354/02 [Rev. XI R 51/07] und 4 K 1356/02, EFG 2007, 631 [Rev. V R 15/07]) die Auffassung vertreten, dass vor dem Hintergrund der Entscheidungen des EuGH vom 06.07.2006 (Rs. C-439/04 [Kittel] und Rs. C-440/04 [Recolta], UR 2006, 594) zur Wahrung der Neutralität des Mehrwertsteuersystems für den Vorsteuerabzug ein Gutglaubensschutz/Vertrauensschutz geboten sei, sofern der Rechnungsempfänger alle ihm vernünftigerweise zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, die Angaben einer Rechnung zu überprüfen. Der Gutglaubensschutz soll dabei unmittelbar auf Art. 17 Abs. 1 d...

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