Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechnungsberichtigung bei einer nicht erbrachten Leistung; Revisionszulassung wegen offensichtlicher Rechtsanwendungsfehler

 

Normenkette

UStG 1993 § 14 Abs. 3; EWGRL 388/77 Art. 21 Nr. 1c; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2; UStG § 17 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Münster (Urteil vom 04.11.2004; Aktenzeichen 5 K 135/04 U)

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen des W. Dieser hatte bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens (im Juli 1997) einen Einzelhandel unterhalten. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) stellte ―nach Konkurseröffnung― anlässlich einer Außenprüfung im Jahr 1998 fest, dass W aufgrund von Rechnungen "Anzahlungen" von seinen Kunden erhalten hatte, für die keine Lieferungen durchgeführt worden sind.

Diese Rechnungen des W enthielten zwar regelmäßig einen Hinweis auf die Lieferscheinnummer und das vor dem Rechnungsdatum liegende Datum der Lieferung, aber keinen Hinweis auf einen sogenannten Vorverkauf oder auf Anzahlungen.

Der Kläger machte geltend, "per 31.12.1996 (seien) Umsatzerlöse von 3.122.618,32 DM brutto verbucht worden, für die keine Lieferungen durchgeführt wurden", und war der Auffassung, es lägen die Voraussetzungen einer Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) vor. Das FA ließ dagegen nur die Berichtigung für eine Anzahlung über 407 647,32 DM (Umsatzsteuer 61 746,97 DM) zu und lehnte eine weiter gehende Berichtigung ab.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, W habe in den streitigen Rechnungen über angeblich bereits ausgeführte Lieferungen abgerechnet, denn die Rechnungen enthielten keinen Hinweis darauf, dass es sich um eine "pro-forma-Rechnung" oder eine Rechnung über Anzahlungen handele. Es sei davon auszugehen, dass die Abnehmer die ausgewiesene Umsatzsteuer in vollem Umfang als Vorsteuer abgezogen haben. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1993 lägen nicht vor, wenn ―wie hier― aus den Rechnungen nicht hervorgehe, dass die Lieferung erst später erfolgen solle; in einem solchen Fall schulde der Unternehmer die ausgewiesene Steuer nach § 14 Abs. 3 UStG 1993.

Auch in den Fällen des § 14 Abs. 3 UStG bestehe zwar die Möglichkeit, den Schaden durch eine Rechnungsberichtigung zu beseitigen. Dies sei bis heute jedoch noch nicht geschehen.

Zu Unrecht berufe sich der Kläger auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 6. November 2003 Rs. C-78-80/02, Karageorgou u.a. (Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 2003, 595, BFH/NV 2004, Beilage 1 S. 48) und auf Widmann in Zeitschrift für Steuerrecht (ZSteu) 2004, 29, 34. Zwar habe der EuGH dort entschieden, unter bestimmten Voraussetzungen schulde ein Nichtunternehmer trotz Ausweises die Umsatzsteuer nicht; diese Entscheidung sei deswegen nicht einschlägig, weil im Streitfall ein Unternehmer die unrichtige Rechnung ausgestellt habe.

Unabhängig davon habe im Streitfall auch nicht geklärt werden können, ob und in welchem Umfang die in Rechnung gestellten Lieferungen tatsächlich noch erbracht worden seien und damit der Besteuerungstatbestand der Lieferung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993) vorliege.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, die der Kläger auf grundsätzliche Bedeutung und offensichtliche Fehlerhaftigkeit des FG-Urteils stützt (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

a) Von grundsätzlicher Bedeutung sei, ob § 14 Abs. 3 UStG 1993 in den Fällen von Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) gedeckt sei, wenn ein Unternehmer ein Abrechnungspapier erstelle, indem er über eine nicht erbrachte Leistung abrechne, denn auch in diesem Fall könne materiell-rechtlich keine Umsatzsteuer entstehen. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe zu diesem Problem auch im Beschluss vom 29. November 2004 V B 78/04 (BFHE 208, 93, BStBl II 2005, 535) keine Stellung genommen. Aus demselben Grund sei die Revision auch zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

b) Der EuGH habe zwar im Urteil vom 19. September 2000 in der Rs. C-454/98, Schmeink & Cofreth und Strobel (Slg. 2000, I-6973) für einen dem Streitfall entsprechenden Sachverhalt mit Scheinrechnungen eines Unternehmers entschieden, der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verlange, dass eine zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer jedenfalls dann berichtigt werden könne, wenn die Gefährdung rechtzeitig und vollständig beseitigt sei. Der EuGH habe jedoch im Urteil vom 6. November 2003, Karageorgou u.a., in UR 2003, 595 entschieden, ein Betrag, der als Mehrwertsteuer in einer Rechnung ausgewiesen wird, die eine Person ausstellt, die Dienstleistungen an den Staat erbringt, sei dann nicht als Mehrwertsteuer zu qualifizieren, wenn diese Person irrtümlich annehme, dass sie diese Dienstleistungen als Selbständiger erbringe, obwohl in Wirklichkeit ein Verhältnis der Unterordnung bestehe. Diese Person sei kein Steuerpflichtiger i.S. von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG; folglich unterlägen nach Art. 2 Abs. 1 die Dienstleistungen, die sie erbringe, nicht der Mehrwertsteuer. Auf die Beseitigung der Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens sei nicht abzustellen, wenn die fraglichen Dienstleistungen nicht der Mehrwertsteuer unterliegen und der in Rechnung gestellte Betrag daher nicht als Mehrwertsteuer qualifiziert werden kann. Gleiches müsse im Streitfall gelten, denn Scheinlieferungen unterlägen offensichtlich nicht der Umsatzsteuer; auf diese Parallele habe auch Widmann (a.a.O.) hingewiesen.

2. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

Die Entscheidung in der Rs. C-78-80/02, Karageorgou, in UR 2003, 595 betrifft den ―im Streitfall nicht vorliegenden― Sonderfall, dass eine Person, die Dienstleistungen gegenüber dem Staat aufgrund eines Arbeitsverhältnisses als Nichtselbständiger erbringt, irrtümlich auf Weisung des Arbeitgebers Quittungen mit ausgewiesener Mehrwertsteuer ausstellt. Der EuGH hat in der vorbezeichneten Entscheidung in RandNr. 50 ausdrücklich auf die Entscheidung in Slg. 2000, I-6973, Schmeink & Cofreth und Strobel, Bezug genommen, ohne deren Grundsätze zu relativieren (worauf im Übrigen auch Widmann, a.a.O., S. 34 hinweist). Für diesen Sonderfall der Rs. C-78-80/02 hat der EuGH entschieden, dass Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG, wonach Mehrwertsteuer geschuldet wird, wenn sie in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausgewiesen wird, nicht die Rückerstattung eines Betrages verbiete, der in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument irrtümlich als Mehrwertsteuer ausgewiesen sei, wenn die fraglichen Dienstleistungen nicht der Mehrwertsteuer unterliegen und der in Rechnung gestellte Betrag daher nicht als Mehrwertsteuer qualifiziert werden könne: Der EuGH hat für den Sonderfall, dass eine für den Staat als Nichtselbständiger tätige Person auf Anweisung des Arbeitgebers eine Quittung über erhaltene Mehrwertsteuer ausstellte, eine Gefährdung des Steueraufkommens verneint. Im Streitfall hat dagegen ein Unternehmer gegenüber einem anderen Unternehmer über eine angebliche Lieferung abgerechnet.

3. Aus demselben Grund erfordert das Urteil des EuGH in der Rs. C-78-80/02, Karageorgou, in UR 2003, 595 auch keine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

4. Der Kläger meint, hilfsweise sei klärungsbedürftig, ob und wie der Aussteller von Scheinrechnungen die Gefährdungshaftung beseitigen müsse. Das FG stelle auf die formelle Rücknahme und Berichtigung der Rechnung ab; allein die Rücknahme einer Rechnung sei aber keine ausreichende Beseitigung der Gefährdungslage. Bleibe aber das FA untätig, dürfe dies nicht mehr dem Aussteller der Scheinrechnungen zugerechnet werden.

Insoweit kommt eine Zulassung der Revision schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nicht dargelegt hat, inwiefern diese Frage im Revisionsverfahren klärbar sein könnte (zum Erfordernis der substantiierten Darlegung der Klärbarkeit z.B. BFH-Beschluss vom 18. Januar 1995 VIII B 41/94, BFH/NV 1995, 807). Zu einem schlüssigen Vortrag hätte der Kläger zumindest vortragen müssen, inwiefern angesichts dessen, dass er die Rechnungen nicht berichtigt hat, allein die Untätigkeit des FA kausal dafür hätte sein können, dass die geltend gemachten Vorsteuerbeträge von den Rechnungsempfängern nicht zurückbezahlt worden sind.

5. Auch die vom Kläger begehrte Zulassung der Revision wegen eines schwerwiegenden offensichtlichen Fehlers kommt nicht in Betracht.

a) Der Kläger trägt hierzu vor, das angefochtene Urteil beruhe auf einem schwerwiegenden offensichtlichen Fehler, denn Scheinrechnungen seien nicht nur im Jahr 1996, sondern auch bereits vorher ausgestellt worden. Soweit die Umsatzsteuer gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1993 auf Scheinrechnungen aus dem Jahr 1995 beruhe, könne offensichtlich keine Umsatzsteuerschuld für das Jahr 1996 entstanden sein.

b) Zwar können auch offensichtliche Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung die Zulassung einer Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO erfordern (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 8. Februar 2006 III B 128/04, BFH/NV 2006, 1116; vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798, jeweils m.w.N.). Eine Entscheidung ist jedoch nur dann (objektiv) willkürlich in diesem Sinn, wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1116). Greifbare Gesetzeswidrigkeit ist anzunehmen, wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (vgl. BFH-Beschluss vom 5. März 2001 III B 119/00, BFH/NV 2001, 1036).

Ein derartiger schwerwiegender Rechtsfehler ergibt sich aus der Beschwerdebegründung schon deshalb nicht, weil der Kläger selbst mit der Klageschrift vorgetragen hatte, per 31. Dezember 1996 (seien) Umsatzerlöse von 3 122 618,32 DM brutto verbucht worden, für die keine Lieferungen durchgeführt worden seien.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1689543

UR 2007, 311

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