Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige und der Höhe nach angemessene Zivilprozesskosten können außergewöhnliche Belastungen sein

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Kosten eines Zivilprozesses können unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig entstehen. Die Abzugsfähigkeit setzt voraus, dass die Zivilprozesskosten notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht überschreiten (vgl. BFH v. 12.5.2011, VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015).

2. Zivilprozesskosten, die das vom Prozessgegner nach Obsiegen des Steuerpflichtigen in der ersten Instanz eingelegte Berufungsverfahren in einem Rechtsstreit gegen einen mit der Erstellung des Kellers des selbstgenutzten Fertighauses beauftragten Bauunternehmer betreffen, sind als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig.

3. Der Abzugsfähigkeit der Prozesskosten steht nicht entgegen, dass der Prozess vor dem OLG mit einem Vergleich endet und damit der Steuerpflichtige die Kostenlast im Vergleichswege „freiwillig” auf sich genommen hat. Die näheren Umstände bei der Beendigung des Zivilprozesses und die dabei zu regelnde Verteilung der Prozesskosten auf die Streitparteien sind nach o.g. BFH-Rechtsprechung für die Frage der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen nicht von Bedeutung.

4. Für die Abzugsfähigkeit von Prozesskosten ist allein entscheidend, ob der Steuerpflichtige, der die Kosten letztlich getragen hat, das Prozesskostenrisiko aus der ex ante Sicht mutwillig oder leichtfertig eingegangen ist.

 

Normenkette

EStG § 33 Abs. 2

 

Tenor

1. Der Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 02. April 2012 wird dahingehend geändert, dass zusätzliche außergewöhnliche Belastungen von 2.023 EUR berücksichtigt werden und die Einkommensteuer auf 15.456 EUR herabgesetzt wird.

2. Die bis zum 02. April 2012 entstandenen Kosten tragen die Kläger zu 90 % und der Beklagte zu 10 %. Die danach entstandenen Kosten trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob Kosten für einen Zivilprozess als außergewöhnliche Belastungen (agB) abziehbar sind.

Die Kläger beauftragten in den Jahren 1999 und 2000 das Baugeschäft A u.a. mit der Errichtung eines Fertighauskellers sowie mit Innenverputz- und Sockelputzarbeiten. Einen Teil der abgerechneten Arbeiten haben die Kläger nicht bezahlt. Sie wurden deshalb auf Zahlung des ausstehenden Werklohns von rd. 14.000 DM verklagt. Mit ihrer Widerklage machten sie einen Vorschussanspruch von rd. 20.000 EUR zur Beseitigung von Mängeln an dem errichteten Keller geltend. In der ersten Instanz vor dem Landgericht (LG) X konnten die Kläger sowohl Klage wie Widerklage für sich entscheiden. In dem vom Prozessgegner der Kläger angestrengten Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) X endete der Rechtsstreit mit einem Vergleich. Darin wurde der Prozessgegner der Kläger bei einer Kostenaufhebung zur Zahlung von 13.000 EUR an die Kläger verpflichtet.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2003 stellten die Rechtsanwälte B, die die Kläger u.a. im Berufungsverfahren vor dem OLG vertreten haben, ihre nach der damals geltenden Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) ermittelten Gebühren von 2.022,34 EUR in Rechnung. Die Zahlung erfolgte im Januar des Streitjahres. Leistungen aus einer Rechtsschutzversicherung haben die Kläger nicht erhalten.

Die Kläger werden im Streitjahr 2004 als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer Einkommensteuererklärung für 2004 machten sie u.a. einen an die Rechtsanwälte B bezahlten Betrag von 4.429 EUR als agB geltend. Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:

Rechnungsdatum

Betrag in EUR

Zahlung am

06.11.2003

997,37

14.11.2003

15.12.2003

2.022,34

08.01.2004

22.11.2004

1.408,49

?

Auf Nachfrage des Beklagten (dem Finanzamt – FA) teilten die Kläger mit, dass es sich um Kosten für einen Rechtsstreit mit der Baufirma handele, die beim Hausbau „gepfuscht” habe. Das FA ließ diese Aufwendungen nicht zum Abzug zu und setzte die Einkommensteuer für 2004 mit Bescheid vom 3. November 2006 mit 16.672 EUR fest. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger mit Schreiben ihres damaligen Bevollmächtigten vom 30. November 2006 Einspruch ein, der in Bezug auf die geltend gemachten Prozesskosten erfolglos blieb. Die Einkommensteuer wurde aber aus anderen Gründen auf 15.988 EUR herabgesetzt. Auf die Einspruchsentscheidung vom 19. Juni 2009 wird verwiesen.

Mit ihrer am 21. Juli 2009 beim Finanzgericht eingegangene Klage machten die Kläger zunächst weiter einen Betrag von 4.429 EUR als agB geltend. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen Folgendes aus:

In ihrem neu bezogenen Wohnhaus seien Feuchtigkeitsschäden mit Schimmelbildung aufgetreten, die bei den Kindern zu Atemwegserkrankungen geführt hätten. Die bauausführende Firma sei deshalb auf Schadensersatz verk...

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