Leitsatz

Ein inländischer Reiseveranstalter kann sich hinsichtlich der von ihm für sein Unternehmen bezogenen Reisevorleistungen eines in einem anderen Mitgliedstaat der EU ansässigen Unternehmers, für die er als Leistungsempfänger die Steuer schuldet, unmittelbar auf die unionsrechtlichen Bestimmungen über die Margenbesteuerung (Art. 306 ff. MwStSystRL) berufen mit der Folge, dass er entgegen dem nationalen Recht keine Steuer für die erbrachten Leistungen schuldet, weil diese danach im Inland nicht steuerbar sind.

 

Normenkette

§ 3a, § 13b, § 25 Abs. 1 UStG, Art. 306 ff. MwStSystRL

 

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Reiseveranstalterin, bezog von A mit Sitz in Österreich Reisevorleistungen (Unterbringung, Verpflegung und Beförderung der Reisenden sowie die Vermietung von Fahrrädern) zur Durchführung von inländischen Radreisen. Die Klägerin besteuerte ihre Ausgangsumsätze an die Reisenden gemäß § 25 UStG und zog aus dem Bezug der Leistungen von A keine umsatzsteuerrechtlichen Folgerungen.

Das FA ging davon aus, dass der Ort der von A bezogenen Reisevorleistungen nach § 3a UStG im Inland liege und die Klägerin die Umsatzsteuer als Leistungsempfängerin schulde. Es setzte für die Reisevorleistungen gegenüber der Klägerin Umsatzsteuer fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 11.6.2015, 16 K 53/15, Haufe-Index 9116084, EFG 2016, 1307) gab der Klage, mit der sich die Klägerin auf Art. 306 ff. MwStSystRL berufen hatte, statt. Die von ihr bezogenen Leistungen seien nicht im Inland steuerbar, da der Leistungsort in Österreich liege. Die Klägerin könne sich auch als Leistungsempfängerin darauf berufen.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Nach Art. 306 MwStSystRL wenden die Mitgliedstaaten auf Umsätze von Reisebüros und Reiseveranstaltern eine Mehrwertsteuer-Sonderregelung an, soweit diese gegenüber dem Reisenden in eigenem Namen auftreten und zur Durchführung der Reise Leistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Diese Sonderregelung gilt, wie der EuGH bereits im Jahr 2013 (entgegen der früheren Auffassung der Kommission) in mehreren Vertragsverletzungsverfahren klargestellt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 26.9.2013, C-189/11, Kommission/Spanien, EU:C:2013:587, UR 2013, 835; C‐296/11, Kommission/Frankreich, EU:C:2013:612; C‐193/11, Kommission/Polen, EU:C:2013:608; C‐309/11, Kommission/Finnland, EU:C:2013:610; C‐450/11, Kommission/Portugal, EU:C:2013:611; C‐269/11, Kommission/Tschechische Republik, EU:C:2013:602; C‐236/11, Kommission/Italien, EU:C:2013:607; C‐293/11, Kommission/Griechenland, EU:C:2013:609), auch für Reiseleistungen in der Leistungskette, die der Kunde für sein Unternehmen bezieht, z.B. um damit seinerseits Reiseleistungen an Reisende auszuführen (sog. Kundenmaxime).

2. Nach deutschem Recht gelten dagegen (nur) für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind, die besonderen Vorschriften zur Besteuerung von Reiseleistungen, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Das deutsche Recht ist daher, wie der EuGH mittlerweile auf Klage der Kommission gegen Deutschland klargestellt hat (EuGH, Urteil vom 8.2.2018, C-380/16, Kommission/Deutschland, EU:C:2018:76, HFR 18, 259), insoweit partiell unionsrechtswidrig.

3. Auswirkungen hat dies damit auch auf Reisevorleistungen, wenn es sich beim Leistenden (Veranstalter oder "Zwischenhändler") um Reiseleistungen handelt. Die Reiseleistungen von Reiseveranstaltern oder (Zwischenhändlern als) "Reisebüros" werden in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem sie ihren Sitz (oder eine feste Niederlassung) haben, von wo aus sie die Dienstleistung erbringen (Art. 307 MwStSystRL).

4. Da Art. 306 ff. MwStSystRL inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind (vgl. zu diesem Erfordernis des Berufungsrechts z.B. EuGH, Urteil vom 12.10.2017, C-404/16, Lombard Ingatlan Lízing, EU:C:2017:759, BFH/NV 2017, 1696, Rz. 36), kann sich der Steuerpflichtige vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, soweit diese – wie mittlerweile vom EuGH festgestellt – durch § 25 UStG nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden sind (s. bereits BFH, Urteil vom 21.11.2013, V R 11/11, BFH/NV 14, 803, BFH/PR 2014, 205; Urteil vom 20.3.2014, V R 25/11, BFH/NV 14, 1173, BFH/PR 2014, 269). Dies gilt auch, soweit es um Leistungen geht, für die der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG schuldet.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 13.12.2017 – XI R 4/16

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