Leitsatz

1. Gutschriften aus Schneeballsystemen führen zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, wenn der Betreiber des Schneeballsystems bei entsprechendem Verlangen des Anlegers zur Auszahlung der gutgeschriebenen Beträge leistungsbereit und leistungsfähig gewesen wäre (Bestätigung der Rechtsprechung).

2. An der Leistungsbereitschaft des Betreibers des Schneeballsystems kann es fehlen, wenn er auf einen Auszahlungswunsch des Anlegers hin eine sofortige Auszahlung ablehnt und stattdessen über anderweitige Zahlungsmodalitäten verhandelt. Einer solchen Verweigerung oder Verschleppung der Auszahlung steht es nicht gleich, wenn der Betreiber des Schneeballsystems den Anlegern die Wiederanlage nahelegt, um den Zusammenbruch des Schneeballsystems zu verhindern, die vom Anleger angeforderten Teilbeträge jedoch auszahlt.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 1 Nr. 7, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG 1990

 

Sachverhalt

Der Kläger schloss als "Auftraggeber" mit dem Bankkaufmann C eine Vereinbarung über eine Kapitalanlage, bei der es sich um ein Schneeballsystem handelte. C konnte bis etwa Mitte 1994 alle Zinsansprüche durch Zahlung auf die Konten der Anleger begleichen. Ab Mitte 1994 ging er dazu über, die Anleger telefonisch zur Neuanlage der Erträge ohne Auszahlung aufzufordern. Die Neuanlagen erfolgten formlos ohne erneute schriftliche Vereinbarung. C zahlte jedoch auch in diesem Zeitraum auf Verlangen der Anleger gutgeschriebene Erträge aus, wenn der Anleger darauf bestand.

Im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung erfasste das FA sowohl die von C an den Kläger ausgezahlten als auch die ihm gutgeschriebenen und wiederangelegten Erträge als Einnahmen aus Kapitalvermögen. Das FG gab der dagegen erhobenen Klage hinsichtlich der abgerechneten Erträge, die nicht ausgezahlt, sondern wiederangelegt worden waren, statt. Es verneinte insoweit einen Zufluss von Einkünften aus Kapitalvermögen (FG des Saarlandes, Urteil vom 10.5.2012, 1 K 2327/03, Haufe-Index 3019165, EFG 2012, 1642).

 

Entscheidung

Auf die Revision des FA hob der BFH die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.

Entgegen der Auffassung des FG sei von einem Zufluss auch der wiederangelegten Beträge auszugehen. Der Zufluss ergebe sich sowohl aus den Gutschriften als auch aufgrund der Novationen. Ob die in den Abrechnungen ausgewiesenen Zinsansprüche angesichts der vom FG angenommenen objektiv bestehenden Deckungslücke zwischen den Forderungen aller Anleger und dem bei C vorhandenen Kapital hätten befriedigt werden können, wenn alle oder viele Anleger die Auszahlung der gutgeschriebenen Erträge gleichzeitig verlangt hätten, sei unbeachtlich. C sei als leistungsbereiter und leistungsfähiger Schuldner anzusehen, da er in den Streitjahren den Auszahlungswünschen des Klägers ohne Weiteres nachgekommen sei. Deshalb sei es unerheblich, dass er den Anlegern die Wiederanlage nahegelegt habe, um den Zusammenbruch des Schneeballsystems zu verhindern.

 

Hinweis

Diese Entscheidung trifft (über die Wiederholung schon bisher entwickelter Rechtssätze – dazu nachfolgend 1. – hinaus) drei praktisch bedeutsame Aussagen:

Zum einen setzt sie sich mit der im Schrifttum gegen die Linie des BFH erhobenen Grundsatzkritik auseinander (dazu nachfolgend 2.). Ferner grenzt sich die Entscheidung von der Rechtsprechung des II. Senats des BFH zur vermögensteuerrechtlichen Beurteilung von Schneeballsystemen ab (dazu nachfolgend 3.) und schließlich beurteilt sie eine neue, bisher noch nicht bearbeitete Sachverhaltsfacette (dazu nachfolgend 4.).

1. Die bisher entwickelte Linie des BFH zur Beurteilung von Schneeballsystemen lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Zu den Einnahmen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zählen nicht nur ausgezahlte Erträge, sondern auch Erträge aus Gutschriften und wiederangelegten Renditen. Für Gutschriften und Wiederanlagen stellt sich jeweils die Frage, ob und wann ein Zufluss gegeben ist.

aa) Eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten kann einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuld zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen.

bb) Ein Zufluss kann ferner durch die Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger bewirkt werden, dass ein Betrag fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet sein soll (Novation).

Voraussetzung für den Zufluss des aufgrund der Altforderung geschuldeten Betrags i.S. v. § 11 Abs. 1 EStG ist in derartigen Fällen der Schuldumschaffung allerdings, dass sich die Novation als Folge der Ausübung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht des Gläubigers (Anlegers) über den Gegenstand der Altforderung darstellt und auf dessen freiem Entschluss beruht. Entscheidend hierfür ist, ob der dem Gläubiger geschuldete Betrag gerade in dessen Interesse nicht...

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