Leitsatz

1. Der Verzicht auf Steuerbefreiungen nach § 9 UStG kann zurückgenommen werden, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 AO noch änderbar ist (Klarstellung der Rechtsprechung).

2. Nach Verschmelzung einer Organgesellschaft auf den Organträger ist sie nicht mehr Dritte i.S.v. § 174 Abs. 5 AO.

 

Normenkette

§ 9 UStG, § 164, § 168, § 169, § 170, § 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO

 

Sachverhalt

Die M-GmbH lieferte 1991 ein Grundstück aufgrund eines Verzichts steuerpflichtig an die MG-GmbH. Die MG-GmbH war seit Februar 1995 Organgesellschaft der Klägerin. 1997 vereinbarte die D-GmbH als Gesamtrechtsnachfolgerin der M-GmbH mit der MG-GmbH die Rückgängigmachung des Verzichts. Die Klägerin ging zunächst davon aus, dass sie den Vorsteuerabzug im Widerrufsjahr (1997) als Organträger zu berichtigen habe und gab in 1998 eine als Steuerfestsetzung (§ 168 Satz 1 AO) geltende Steuererklärung Umsatzsteuer 1997 ab. In 2003 wurde die MG-GmbH auf die Klägerin verschmolzen. Die Klägerin beantragte in 2004 entsprechend der BFH-Rechtsprechung, die Berichtigung des Vorsteuerabzugs rückgängig zu machen. Das FA entsprach dem mit einem gem. § 164 AO erlassenen Änderungsbescheid vom 20.1.2005. Am 9.6.2005 erließ das FA einen auf § 174 AO gestützten Änderungsbescheid zur Umsatzsteuer 1991 gegenüber der Klägerin als Gesamtrechtsnachfolger der MG-GmbH. Die hiergegen zulässig eingelegte Untätigkeitsklage hatte in der Sache keinen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.10.2011, 7 K 7193/07, Haufe-Index 2924125, EFG 2012, 800).

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte das Urteil der Vorinstanz. Der Leistende habe den Verzicht in 1997 wirksam widerrufen. Im Hinblick auf die Rückgängigmachung der unzutreffenden Berichtigung im Widerrufsjahr sei das FA gem. § 174 Abs. 4 AO zur Berichtigung im Abzugsjahr berechtigt gewesen. Auf eine Drittbeteiligung nach § 174 Abs. 5 AO komme es nicht an, da die Klägerin bereits in 2003 und damit vor Erlass des Änderungsbescheids für das Widerrufsjahr (1997) vom 20.1.2005 Gesamtrechtsnachfolger der MG-GmbH geworden sei. Auf die Frage, ob eine Korrektur nach § 174 Abs. 3 AO auch über Satz 2 dieser Vorschrift möglich gewesen wäre, kam es somit nicht an.

 

Hinweis

1. Der Unternehmer kann auf die Steuerfreiheit seiner Leistungen nach § 9 UStG verzichten. Er kann den Verzicht unter den gleichen Voraussetzungen wie die Erklärung des Verzichts widerrufen.

2. Streitig ist, welche zeitlichen Grenzen für die Erklärung des Verzichts und seines Widerrufs bestehen.

a) Die Rechtsprechung des V. Senats des BFH war insoweit nicht eindeutig. Es sollte einerseits auf die Bestandskraft, andererseits auf die Änderbarkeit der Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung ankommen. Letzteres bezog sich auf den Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO), da der nachträgliche Verzicht – und ebenso der Widerruf des Verzichts – in Bezug auf die Besteuerung des leistenden Unternehmers nicht zu einer neuen Tatsache (§ 173 AO) und auch nicht zu einem rückwirkenden Ereignis (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) führt (BFH, Urteil vom 2.4.1998, V R 34/97, BStBl II 1998, 695).

Liegt danach ein wirksamer Widerruf des Verzichts vor, hat der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug für das Abzugsjahr, nicht aber für das Widerrufsjahr zu berichtigen. Dabei sieht der BFH in dem Widerruf in Bezug auf den Leistungsempfänger ein rückwirkendes Ereignis (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO;BFH, Urteil vom 1.2.2001, V R 23/00, BStBl II 2003, 673).

b) Der XI. Senat des BFH ging bei einem zu § 20 UStG ergangenen Urteil in einem obiter dictum davon aus, dass eine Bindungswirkung an den Verzicht ab dem Eintritt der formellen Bestandskraft der Steuerfestsetzung bestehe (BFH, Urteil vom 10.12.2008, XI R 1/08, BStBl II 2009, 1026).
c) Die Finanzverwaltung stellte ursprünglich darauf ab, dass eine Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung noch vorgenommen oder geändert werden kann (Abschn. 148 Abs. 3 Satz 5 UStR), nahm dann aber das Urteil des XI. Senats zum Anlass, die Verwaltungspraxis zu verschärfen. Nach Abschn. 9.1 Abs. 3 Satz 1 UStAE sollen Verzicht und Widerruf nur bis zur formellen Bestandskraft der Jahressteuerfestsetzung möglich sein. Dies wird durch das BMF-Schreiben vom 23.10.2013, BStBl I 2013, 1304 abgemildert. Nach Abschn. 9.1 Abs. 3 Satz 3 UStAE n.F. wird ein Verzicht auf die Steuerfreiheit als wirksam angesehen, wenn die Parteien im Rahmen des notariellen Kaufvertrags über ein Grundstück übereinstimmend von einer Geschäftsveräußerung ausgehen und nur für den Fall, dass sich ihre rechtliche Beurteilung später als unzutreffend herausstellt, eine Option zur Steuerpflicht beabsichtigen.

3.Der V. Senat des BFH hat die Streitfrage nunmehr dahingehend geklärt, dass auf die Änderbarkeit nach § 164 AO und damit auf die materielle, nicht aber auf die formelle Bestandskraft abzustellen ist.

a) Somit kann der Unternehmer den Verzicht ebenso wie den Widerruf solange erklären, wie d...

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