Leitsatz

Ein vom Kläger erklärter Verzicht auf mündliche Verhandlung wird wirkungslos, wenn das FG gleichwohl eine mündliche Verhandlung anberaumt. Das FG darf danach nur dann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn die Beteiligten erneut darauf verzichten.

 

Normenkette

§ 90, § 94a, § 119 Nr. 3 und Nr. 4 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Der anwaltlich vertretene K hatte ebenso wie das FA in einem Klageverfahren vor dem FG wegen Abzug von Unterhaltszahlungen (§ 33a Abs. 1 EStG) auf Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet. Im Anschluss daran hatte das FG dennoch einen Termin zur mündlichen Verhandlung an­beraumt. Daraufhin beantragte Ks Prozessbevollmächtigter wegen Urlaubs Terminverlegung. Das FG teilte daraufhin den Verfahrensbeteiligten mit, dass der Termin aufgehoben und die Ladung dazu gegenstandslos sei. Danach hat das FG Ks Klage ohne mündliche Verhandlung abgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Niedersächsisches FG, Urteil vom 12.10.2010, 3 K 323/10).

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machte K dagegen im Wesentlichen geltend, dass das FG ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 1, 2 FGO hätten nicht vorgelegen. Das FG habe Ks Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung aus den unter Praxis-Hinweisen dargestellten Erwägungen auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

 

Hinweis

Die Entscheidung behandelt die Frage, ob der Verzicht auf Durchführung der mündlichen Verhandlung durch weitere prozessuale Ereignisse wirkungslos werden kann, sodass ein ohne Durchführung der mündlichen Verhandlung ergangenes Urteil verfahrensfehlerhaft zustande kommt. Der BFH bejahte diese Frage, wie aus dem Leitsatz ersichtlich.

1. Eine Entscheidung leidet an einem Verfahrensmangel (§ 119 Nr. 4 FGO), wenn sie ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, ohne dass die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 1, 2 FGO) vorlagen. Und selbst wenn der Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt worden war, kann dieser seine pro­zessuale Wirkung verlieren. Der Besprechungsfall klärt, unter welchen Voraussetzungen der ehemals ausgesprochene Verzicht wirkungslos wird. Entschieden war dies etwa schon für den Fall, dass das FG erneut anfragt, ob auf mündliche Verhandlung verzichtet werde und darauf die Beteiligten erklären, nicht verzichten zu wollen. Auch dann kann sich das FG nicht mehr auf den zuvor erklärten Verzicht stützen (BFH, Urteil vom 29.04.1999, V R 102/98, BFH/NV 1999, 1480).

2. Hier legt der BFH die Verzichtserklärung einschränkend aus. Er verweist hierzu insbesondere auf die besondere Interessenlage der Beteiligten und den Charakter der Verzichtserklärung als nicht anfechtbare und nicht frei widerrufbare Prozesshandlung. Im Ergebnis gelangt er so, mit dem VIII. Senat des BFH (BFH, Urteil vom 31.08.2010, VIII R 36/08, BFH/NV 2011, 141, BFH/PR 2011, 115) aber entgegen einer Meinung in der Kommentarliteratur, zu der Auffassung, dass der Verzicht nur auf die nächste Sachentscheidung durch den Spruchkörper zu beziehen ist.

3. Aufgrund des Verfahrensfehlers (§ 119 Nr. 4 FGO) entschied der BFH durch Beschluss, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. In der Sache selbst ist damit noch nichts entschieden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 10.03.2011 – VI B 147/10

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