Leitsatz

1. Der BFH hält § 19 Abs. 1 i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG in der im Jahr 2009 geltenden Fassung wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) für verfassungswidrig, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen nicht durch ausreichende ­Sach- und Gemeinwohlgründe gerechtfertigt sind und einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang aufweisen. Die Verfassungsverstöße führen teils für sich allein, teils in ihrer Kumulation zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung, durch die Steuerpflichtige, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen können, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt werden.

2. Die Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III im Jahr 2009 ist nicht verfassungswidrig.

 

Normenkette

Art. 3 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, § 12 Abs. 5, § 13a, § 13b, § 19 Abs. 1 ErbStG, § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Miterbe seines 2009 verstorbenen Bruders seines Vaters. Der Nachlass bestand aus Guthaben bei Kreditinstituten und einem Steuererstattungsanspruch. Das FA setzte für den steuerpflichtigen Erwerb des Klägers von 31.200 EUR unter Anwendung des in § 19 Abs. 1 ErbStG für die Steuerklasse II vorgesehenen Steuersatzes von 30 % die Erbschaftsteuer von 9.360 EUR fest. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2011, 4 K 2574/10 Erb, Haufe-Index 2638291, EFG 2011, 1079).

 

Entscheidung

Der BFH hat nunmehr wegen der Vorlagefrage das BVerfG angerufen.

 

Hinweis

Der Vorlage des BFH vorausgegangen war die Beitrittsaufforderung an das BMF (Beschluss vom 5.10.2011, BStBl II 2012, 29). Wie im Vorlagebeschluss aufgezeigt, hat das beigetretene BMF allerdings zu wesentlichen in der Beitrittsaufforderung aufgezeigten Problempunkten des derzeitigen Verschonungskonzepts nach § 13a und § 13b ErbStG keine Stellung bezogen.

1. Die Vorlagefrage betrifft nicht die Entscheidung des Gesetzgebers, Personen der Steuerklasse II und III gem. § 19 Abs. 1 ErbStG i.d.F. d. ErbStRG mit dem gleichen Steuersatz zu belegen. Der Gesetzgeber war nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, Erwerber der Steuerklasse II besser zu stellen als Erwerber der Steuerklasse III. Insbesondere ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 GG keine Verpflichtung, für Erwerber der Steuerklasse II einen abgemilderten Steuersatz vorzusehen. Ohnehin betrifft die Problematik ausschließlich Erwerbe, für die die Steuer im Jahr 2009 entstanden ist. Für nachfolgende Steuerentstehungszeitpunkte ist die durch das WachstumsbeschlG v. 22.12.2009 (BGBl I 2009, 3950) ­geänderte Fassung des § 19 Abs. 1 ErbStG n.F. anzuwenden, der die Steuersätze der Steuerklasse II gegenüber denjenigen der Steuerklasse III deutlich abgemildert hat. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, diese Änderung der Steuersätze nicht bereits rückwirkend ab 1.1.2008 vorzunehmen, bestand nicht.

2. Kernpunkt des Vorlagebeschlusses ist die Verfassungswidrigkeit der Begünstigungen für den Erwerb von Betriebsvermögen, von Betrieben der Land- und Forstwirtschaft sowie von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 13a und § 13b ErbStG. Diese Vergünstigungen bewirken nach Ansicht des BFH eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Überprivilegierung, die im Ergebnis zu einer das ErbStG insgesamt erfassenden Fehlbesteuerung führt. Darin liegt, weil alle wesentlichen Teilbereiche des ErbStG betroffen sind, auch ein Verstoß der Tarifregelung des § 19 Abs. 1 ErbStG gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Im Einzelnen:

a) Die Überprivilegierung des Erwerbs von begünstigtem Vermögen i.S.d. § 13a und § 13b ErbStG ergibt sich aus der Verschonung des begünstigten Vermögens jedenfalls insoweit, als ein Betrieb nicht mehr als 20 Beschäftigte hat und die Steuervergünstigung nicht von der Erhaltung von Arbeitsplätzen (§ 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG) abhängt. Erwerber dieser Vermögen kommen in den Genuss unverhältnismäßig kurzer Behaltensregelungen (§ 13a Abs. 5 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 8 Nr. 2 ErbStG), einer Verschonung unabhängig vom Wert des Erwerbs und der Leistungsfähigkeit des Erwerbers sowie der Nichtanwendung der Lohnsummenregelung. Die Gemeinwohlbindung und -verpflichtung von Betrieben scheidet als Rechtfertigung dieser umfänglichen Verschonungsregelungen aus.
b) Ein verfassungswidriger Begünstigungsüberhang ergibt sich ferner aus den Regelungen über das Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 2 ErbStG). Diese Regelungen grenzen den Kreis der Begünstigten nicht sachgerecht und hinreichend zielgenau ab und lassen eine Begünstigung auch weitgehend risikolosen nicht begünstigungswürdigen Betriebsvermögens zu. Steuerpflichtige können damit nicht betriebsnotwendiges Vermögen in Gestalt von Gegenständen der privaten Vermögensverwaltung in unbegrenzter Höhe ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung erwerben. Schon der auf 50 % ­festgelegten Verwaltungsvermögensgrenze (§ 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG) fehlt jede sachliche Grundlage. Der Begünstigungsüb...

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