Leitsatz

1. Dem Feststellungsbescheid über Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 EStG nach der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Rechtslage (sog. Altverluste) kommt als Grundlagenbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO bei einer Verlustverrechnung im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung mit Kapitaleinkünften i.S. des § 20 Abs. 2 EStG sowohl hinsichtlich des Bestehens als auch der Höhe der Altverluste Bindungswirkung zu.

2. Durch das Nichtbeachten eines Grundlagenbescheids bei der erstmaligen Festsetzung der Steuer oder einer Folgeänderung wird der Grundlagenbescheid nicht "verbraucht". Er ist nach wie vor geeignet, eine spätere nochmalige Änderung des Folgebescheids zu rechtfertigen.

3. Die Verrechnung von Altverlusten aus der Veräußerung von Wertpapieren mit nach der Verrechnung i.S. des § 43a Abs. 3 EStG verbleibenden positiven Kapitaleinkünften i.S. des § 20 Abs. 2 EStG ist zwingend, wenn gemäß § 32d Abs. 4 EStG die Einbeziehung der Kapitaleinkünfte in die Steuerfestsetzung beantragt wurde und keine Ausgleichsmöglichkeit der Altverluste mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG besteht.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 2, Abs. 6 Satz 1, § 23 Abs. 3 Sätze 9, 10, § 32d Abs. 4 EStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 177, § 351 Abs. 1 AO

 

Sachverhalt

Das FA stellte im Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2008 negative Einkünfte der Kläger aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (sog. Altverluste) fest.

In der Einkommensteuererklärung für 2009 stellten die Kläger einen Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG. Dementsprechend setzte das FA die Einkommensteuer unter Einbeziehung der nach § 32d Abs. 1 EStG zu besteuernden Kapitaleinkünfte bestandskräftig fest. Eine Verrechnung des Verlustvortrags aus den privaten Veräußerungsgeschäften zum 31.12.2008 mit den im Streitjahr erzielten Kapitalerträgen i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG nahm es nicht vor. Den Antrag der Kläger auf Änderung des Bescheids lehnte das FA ab, da die Voraussetzungen für eine Korrektur nach seiner Auffassung nicht vorlagen.

Einspruch und Klage (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.5.2014, 7 K 7337/11, Haufe-Index 7183004, EFG 2014, 1680) hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.

 

Hinweis

In der Besprechungsentscheidung hat der BFH grundsätzliche Verfahrensfragen in Bezug auf die Verrechnung von sog. Altverlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Kapitaleinkünften i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG nach der Einführung der Abgeltungsteuer geklärt:

1. Verluste aus der Veräußerung von Wertpapieren, die vor dem 1.1.2009 angeschafft wurden, unterliegen auch nach dem Inkrafttreten der Abgeltungsteuer dem Halbeinkünfteverfahren (s. hierzu BFH, Urteil vom 3.11.2015, VIII R 37/13, BFHE 252, 274, BStBl II 2016, 273, BFH/PR 2016, 169). Ihr Einkunftsminderungspotenzial wird danach halbiert. Sie können nach § 23 Abs. 3 Sätze 9 und 10 EStG i.V.m. § 52a Abs. 11 Satz 11 EStG letztmals im Veranlagungszeitraum 2013 mit Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG ausgeglichen werden.

2. Eine solche Verrechnung setzt jedoch voraus, dass die Kapitaleinkünfte aufgrund einer Antragsveranlagung gemäß § 32d Abs. 4 EStG in die Einkommensteuerfestsetzung miteinbezogen werden. Diesbezüglich ist zu beachten, dass der unbefristete Antrag gemäß § 32d Abs. 4 EStG nur bis zur formellen Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzung gestellt werden kann. Dies war vorliegend, entgegen der Auffassung der Parteien und des FG, der Fall.

3. Des Weiteren hat der BFH klargestellt, dass eine Verrechnung der Altverluste aus Wertpapierge­schäften mit Kapitaleinkünften i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG jedenfalls dann zwingend durchzuführen ist, wenn keine Verrechnungsmöglichkeit mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG besteht. Eine Verrechnung mit Altverlusten geht einer Verrechnung mit "neuen" Aktienverlusten vor. Einer Antragstellung, wie in Zeile 59 der Anlage KAP vorgesehen, bedarf es in diesem Fall nicht.

4. Im vorliegenden Fall hatten die Parteien und das FG verkannt, dass es sich bei dem Feststellungsbescheid über Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften um einen Grundlagenbescheid für die Einkommensteuerfestsetzung handelt. Diesem kommt sowohl hinsichtlich des Bestehens als auch der Höhe der Altverluste Bindungswirkung bei der Verrechnung mit Kapitaleinkünften i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG zu.

5. Dies hat zur Folge, dass die zwingend vorzunehmende Verrechnung der Altverluste mit den Kapitaleinkünften i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG über die Korrektur des bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nachzuholen war. Der Änderung des Einkommensteuerbescheids stand nicht entgegen, dass dem FA bei dessen Erlass der Verlustfeststellungsbescheid bereits bekannt war. Durch die Nichtbeachtung eines...

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