Leitsatz

Enthält ein geänderter Grundlagenbescheid zugleich eine Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung und ist er damit nach § 164 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO wie eine erstmalige Feststellung zu werten, dann ist sein Regelungsinhalt nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 182 Abs. 1 Satz 1 AO in vollem Umfang und ohne Bindung an in der Vergangenheit bereits erfolgte Übernahmen aus vorangegangenen Feststellungsbescheiden in den Folgebescheid zu übernehmen.

 

Normenkette

§ 164 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 Satz 1, § 182 Abs. 1 Satz 1 AO

 

Sachverhalt

Die Klägerin war an einer vermögensverwaltenden GbR beteiligt, die ihr im Streitjahr 1992 Verluste aus Spekulationsgeschäften vermittelte, die nach damaligem Recht nicht ausgleichsfähig waren. Das FA nahm deshalb an, den 1994 unter Vorbehalt der Nachprüfung gesondert und einheitlich festgestellten Verlust vollständig und richtig im Einkommensteuerbescheid umgesetzt zu haben, indem der Verlust ohne Auswirkung blieb. Im Jahr 2000 änderte das Feststellungsfinanzamt den Feststellungsbescheid und stellte den Verlust um 4.413 DM höher fest. Der Einkommensteuerbescheid wurde nicht angepasst. Nachdem der BFH 2004 entschieden hatte, dass Verluste aus Spekulationsgeschäften in den Jahren vor 1999 grundsätzlich ausgleichsfähig waren (BFH, Urteil vom 1.6.2004, IX R 35/01, BFH/NV 2004, 1180), berücksichtigte das FA einen ausgleichsfähigen Verlust von 4.413 DM im Einkommensteuerbescheid für 1992. Die Klage mit dem Ziel, den Verlust in voller Höhe anzusetzen, hatte keinen Erfolg (FG Köln, Urteil vom 20.6.2013, 6 K 2552/10, Haufe-Index 5337202, EFG 2013, 1718).

 

Entscheidung

Auf die Revision der Kläger hat der BFH das FG-Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das FG hat nicht festgestellt, ob bei der Änderung des Feststellungsbescheids im Jahr 2000 der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben worden ist. Dann müsste der geänderte Feststellungsbescheid von 2000 noch heute in vollem Umfang (und entsprechend der materiellen Rechtslage) umgesetzt werden.

 

Hinweis

Die Beteiligten werden sich beim Lesen des Urteils ordentlich die Augen gerieben haben, denn § 164 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz AO hatte keiner von beiden "auf dem Schirm". Die "Entdeckung" des BFH bedeutet für die Kläger, dass ein schier endloser Rechtsstreit (wegen Einkommensteuer 1992) nun doch noch zu einem glücklichen Ende kommen könnte; das FA wird dies vermutlich anders sehen.

1. Wird ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 Satz 1 AO) geändert, muss das für den Erlass des Folgebescheids zuständige FA den Folgebescheid (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO) entsprechend ändern (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Es hat die Verpflichtung, den geänderten Grundlagenbescheid vollständig und richtig umzusetzen. Diese Pflicht (Anpassungsverpflichtung) reicht genau so weit wie die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids. Das eine ist die Kehrseite des andern.

2. Das bedeutet: Ein Folgebescheid, in dem ein Grundlagenbescheid bereits vollständig und richtig umgesetzt worden ist, darf nur noch geändert werden, soweit der geänderte Grundlagenbescheid Neues enthält. Die Änderung des Grundlagenbescheids darf nicht zum Anlass genommen werden, um den Folgebescheid insgesamt aufzurollen. Eine bloß wiederholende Verfügung löst keine Anpassungsverpflichtung aus. Die von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO bewirkte Durchbrechung der Bestandskraft ist gegenständlich begrenzt.

3. Das gilt jedoch nicht, wenn bei einem Grundlagenbescheid der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wird. Im Gesetz heißt es: "Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich" (§ 164 Abs. 3 Satz 2 AO). Für den Umfang der Anpassungsverpflichtung bedeutet dies: Mit Aufhebung des Vorbehalts gilt der Grundlagenbescheid als erstmalige Feststellung, der kein bloß wiederholender Charakter zuzumessen ist. Er ist – ohne Rücksicht auf frühere Umsetzungen – im Folgebescheid erneut vollständig (und nach dem in diesem Zeitpunkt geltenden Recht) umzusetzen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 21.1.2014 – IX R 38/13

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