Leitsatz

1. Pflege i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ist die regelmäßige und dauerhafte Fürsorge für das körperliche, geistige oder seelische Wohlbefinden einer wegen Krankheit, Behinderung, Alters oder eines sonstigen Grundes hilfsbedürftigen Person. Es ist nicht erforderlich, dass der Erblasser pflegebedürftig i.S.d. § 14 Abs. 1 SGB XI und einer Pflegestufe nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI zugeordnet war.

2. Die Gewährung eines Pflegefreibetrags setzt voraus, dass Pflegeleistungen regelmäßig und über eine längere Dauer erbracht worden sind, über ein übliches Maß der zwischenmenschlichen Hilfe hinausgehen und im allgemeinen Verkehr einen Geldwert haben.

3. Der Erwerber muss zur Berücksichtigung eines Pflegefreibetrags die Hilfsbedürftigkeit des Erblassers sowie Art, Dauer, Umfang und Wert der erbrachten Pflegeleistungen schlüssig darlegen und glaubhaft machen. Hieran sind jedoch keine übersteigerten Anforderungen zu stellen.

 

Normenkette

§ 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG

 

Sachverhalt

Der Kläger erhielt von der 1920 geborenen und 2009 verstorbenen Erblasserin (E), mit der er weder verwandt noch verschwägert war, im Vermächtniswege zwei vermietete Eigentumswohnungen im Gesamtwert von 103.104 EUR. Testamentarischer Alleinerbe der E war ihr Neffe. Seit 2004 hatte der Kläger eine General- und Versorgungsvollmacht der E und dieser in den letzten Jahren vor ihrem Tod regelmäßig Hilfe u.a. in Form von Unterstützung bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen, bei der Erledigung von Botengängen und Schriftverkehr, durch Begleitung bei Arztbesuchen oder Vorsprachen bei Behörden geleistet. E lebte bis Mai 2009 alleine in ihrer Wohnung; nach einem stationären Krankenhausaufenthalt war sie von Juli 2009 bis zu ihrem Tod in einem Pflegeheim untergebracht. Seit 1.5.2009 war E in Pflegestufe I und seit 1.7.2009 in Pflegestufe II eingeordnet.

Das FA ging bei der Erbschaftsteuerfestsetzung gegen den Kläger davon aus, dass der Pflegefreibetrag erst ab Vorliegen der Pflegebedürftigkeit i.S.d. SGB XI und nur bis zum Zeitpunkt einer vollstationären Pflege und im Streitfall nur für die Monate Mai und Juni 2009 i.H.v. 755 EUR zu berücksichtigen sei. Die Klage hatte teilweise Erfolg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 6.7.2012, 11 K 4190/11, Haufe-Index 3404785, EFG 2012, 2217). Das FG ging davon aus, dass der Begriff der Pflege i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG weit zu verstehen sei. Unter Würdigung aller Umstände des Streitfalls habe der Kläger in den fünf Jahren vor dem Tod der E insgesamt 315 Stunden (anzusetzen mit einem Stundensatz von 15 EUR) Pflegeleistungen erbracht, sodass ein Freibetrag für Pflegeleistungen von 4.725 EUR zu gewähren sei. Das Urteil des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 2217.

 

Entscheidung

Die Revision des FA hat der BFH, wie in den Pra­xis-Hinweisen erläutert, als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

Wer einem Erblasser unentgeltlich oder nur gegen unzureichendes Entgelt Pflegeleistungen erbringt oder Unterhalt gewährt, kann nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG für seinen Erwerb vom Erblasser einen Freibetrag von bis zu 20.000 EUR beanspruchen. Vorausgesetzt wird, dass das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift eröffnen erhebliche Auslegungsspielräume. Dabei ist, so nunmehr der BFH, eine weite Auslegung geboten.

1. Ein Gewähren von Pflege oder Unterhalt liegt vor, wenn die Pflege des Erblassers durch seine Hilfsbedürftigkeit (z.B. wegen Krankheit, Behinderung oder Alter) veranlasst war. Einer formalisierten Feststellung der Pflegebedürftigkeit, etwa nach Maßgabe des SGB XI, bedarf es nicht.

2. Auch für die von § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG vorausgesetzte Erbringung von Pflegeleistungen gilt ein großzügiger Maßstab. Dazu gehören nicht nur Hilfeleistungen im Bereich Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung, sondern auch die Erledigung von Botengängen und schriftlichen Angelegenheiten, Besprechungen mit Ärzten, Vorsprachen bei Behörden sowie die seelische Betreuung des Erblassers. Vorausgesetzt wird lediglich, dass die Leistungen regelmäßig und über eine längere Dauer erbracht worden sind und im allgemeinen Verkehr einen Geldwert haben.

3. Ein angemessenes Entgelt ist die Zuwendung nur, soweit sie dem Betrag entspricht, den der Erblasser durch die Inanspruchnahme der Pflegeleistungen des Erwerbers erspart hat.

4. Aufgrund der Weite des Befreiungstatbestands können sich für den Erwerber zwangsläufig gewisse Nachweisschwierigkeiten ergeben. Grundsätzlich hat der Erwerber die Hilfsbedürftigkeit des Erblassers sowie Art, Dauer, Umfang und Wert der tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen schlüssig darzulegen und glaubhaft zu machen. Er trägt insoweit die Feststellungslast. Doch dürfen an den Erwerber wegen der Nachweisschwierigkeiten keine übersteigerten Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung gestellt werden.

5. Auch für die Ermittlung der Höhe des Feibetrags im Einzelfall gilt ein durchaus großzügiger Maßstab. Der Wert der vo...

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