Leitsatz

1. Der sog. Vorbezug für Wohneigentum einer öffentlich-rechtlichen Versicherungskasse eines Schweizer Kantons, der an einen sog. Grenzgänger ausbezahlt wird, ist weder nach § 3 Nr. 3 EStG 2002 (i.d.F. vor dessen Änderung durch das JStG 2007) noch nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG 2002 (i.d.F. des AltEinkG) steuerbefreit (Anschluss an BFH-Urteile vom 23.10.2013, X R 33/10, BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103 sowie vom 26.11.2014, VIII R 39/10, BFHE 249, 39).

2. Obligatorische Arbeitgeberbeiträge zu einer öffentlich-rechtlichen Versicherungskasse eines Schweizer Kantons sind nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 steuerfrei. Überobligatorische Arbeitgeberbeiträge zu einer solchen Kasse sind als Beiträge i.S.d. § 3 Nr. 62 Satz 4 Halbsatz 1 EStG 2002 innerhalb der Grenzen des § 3 Nr. 62 Satz 3 EStG 2002 steuerfrei; auf die danach steuerfreien Arbeitgeberleistungen sind die nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 steuerfreien Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers anzurechnen (Anschluss an die BFH-Urteile vom 24.9.2013, VI R 6/11, BFHE 243, 210; vom 23.10.2013, X R 33/10, BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103 und vom 26.11.2014, VIII R 39/10, BFHE 249, 39).

 

Normenkette

§ 3 Nr. 3, § 3 Nr. 62, § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2, § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG 2002 (i.d.F. des AltEinkG)

 

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (zusammen­veranlagte Eheleute mit inländischem Wohnsitz) arbeiteten in der Schweiz als öffentlich-rechtliche An­gestellte und waren mit ihren Einkünften aus unselbstständiger Arbeit als sog. Grenzgänger i.S.d. Art. 15a DBA-Schweiz anzusehen. Die Kläger leisteten Beiträge an ihre schweizerische Versicherungskasse. Jene gewährte ihnen auf entsprechende Anträge einen Kapitalbezug zur Wohneigentumsförderung (sog. Vorbezug für Wohneigentum). Das FA sah den Vorbezug als Einnahmen aus sonstigen Bezügen an und berücksichtigte die Zahlungen der Kläger jedenfalls zum Teil als Sonderausgaben. Die von der Versicherungskasse vom sog. Vorbezug einbehaltene Schweizerische Quellensteuer zog das FA jedenfalls zum Teil nach § 34c Abs. 1 (Satz 2) EStG 2002 n.F. von der tariflichen Einkommensteuer ab. Die Klage war überwiegend erfolgreich (FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 7.7.2011, 3 K 1285/09, Haufe-Index 2879385, EFG 2012, 1557).

 

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage im überwiegenden Umfang ab.

 

Hinweis

1."Eine schwere Geburt" – nach sage und schreibe neun Revisionsverfahren (bei vier verschiedenen BFH-Senaten!) hat man nun abkommens- und internrechtliche Einzelfragen der einkommensteuerlichen Behandlung der Beiträge in und Leistungen aus einer schweizerischen Vorsorgeeinrichtung (schweizerische Altersvorsorge nach der sog. zweiten Säule: berufliche Vorsorge/Pensionskassen) soweit abgehandelt, dass sich die Finanzverwaltung in der Lage sieht, diese Rechtserkenntnisse in einem BMF-Schreiben vom 27.7.2016, IV C 3 – S  2255/07/­10005:004/IV C 5 –  S 2333/13/10003 (BStBl I 2016, 759) zusammenzufassen und damit dieses Rechtsgebiet zu "befrieden" oder jedenfalls einer praktikablen Lösung zuzuführen. Insoweit ist das hier angezeigte BFH-Urteil vom 16.9.2015, I R 83/11 (bereits abgedruckt in BFH/NV 2016, 553) nachträglich vom BFH zur Veröffentlichung bestimmt worden, um den Weg in das Bundessteuerblatt II (herausgegeben vom BMF) zu ebnen, was zugleich bewirkt, dass sich die Finanzverwaltung an die Urteilsgrundsätze gebunden hält (z.B. Tipke/Kruse, AO/FGO, § 10 FGO Rz. 6 m.w.N.).

2. Grenzgängerbesteuerung ist im Verhältnis zur Schweiz (Besteuerung im Wohnsitzstaat unter Anrechnung einer Quellensteuer des Tätigkeitsstaats, s. Art. 15a DBA-Schweiz) angesichts von ca. 37.000 in Deutschland ansässigen Grenzgängern (s. Wassermeyer, DBA, Art. 15a DBA-Schweiz Rz. 1) zwar kein "Exotenrecht", immerhin für einen Leser mit beruflichem Schwerpunkt nördlich der Mainlinie nur bedingt von Interesse. Darum nur so viel: Der I. Senat hat sich – nachdem er eine abkommensrechtliche Frage in einem Zwischenurteil (vom 20.8.2014, I R 83/11, BFH/NV 2015, 20) schon entschieden hatte (sog. Vorbezug des inländischen Grenzgängers als dem deutschen Besteuerungsrecht unterfallende "andere Einkünfte" i.S.d. Art. 21 DBA-Schweiz) – zur internrechtlichen Besteuerung (insb. Besteuerung eines sog. Vorbezugs) der Rechtsprechung des VI., VIII. und X. Senats angeschlossen.

Für Einzelheiten dieser höchst komplexen und mit gegenüber hiesigem Recht neuartigen Begrifflichkeiten ("(Über-)Obligatorium") aufwartenden Rechtsmaterie ist zu verweisen auf Schneider, BFH/PR 2013, 78 (zu BFH, Beschluss vom 13.11.2012, VI R 20/10, BFH/NV 2013, 315), Schneider, BFH/PR 2014, 76 (zu BFH, Urteil vom 24.9.2013, VI R 6/11, BFH/NV 2014, 241), Förster, BFH/PR 2014, 78 (zu BFH, Urteil vom 23.10.2013, X R 33/10, BFH/NV 2014, 243), Pezzer, BFH/PR 2015, 336 (zu BFH, Urteil vom 26.11.2014, VIII R 31/10, BFH/NV 2015, 1134), Pezzer, BFH/PR 2015, 339 (zu BFH, Urteil vom 26.11.2014, VIII R 38/10, BFH/NV 2015, 1139), Pezzer, BFH/PR 2015, 342...

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