Rz. 35

Bereits in Rz. 20 wurde darauf hingewiesen, dass § 9 UStG seit dem 1.1.1980 – anders als § 9 UStG 1967/73 – keine ausdrückliche Verzichtserklärung des Unternehmers verlangt. Die bis zum 31.12.1979 bestehenden Zweifelsfragen um die Abgabe der bis zu diesem Zeitpunkt gesetzlich verlangten Verzichtserklärung, die auftraten, obwohl diese auch damals nicht ausdrücklich an eine bestimmte Form oder Frist gebunden war, sind seither nur noch insofern von Interesse, als sich die Frage stellt, wie der Unternehmer das Behandeln eines steuerfreien Umsatzes als steuerpflichtig zu dokumentieren hat. Die in Abschn. 148 Abs. 3 UStR 2008 getroffene Aussage, "der Verzicht auf Steuerbefreiung ist an keine Form oder Frist gebunden", war bereits in Abschn. B Nr. 33 Abs. 3 des BdF-Erlasses v. 14.2.1968[1] enthalten, allerdings bezog sie sich auf die damals gegenüber dem FA abzugebende Erklärung. In Abschn. 9.1 Abs. 3 UStAE wird nur noch darauf hingewiesen, dass der Verzicht keiner Form bedarf. Hinsichtlich der Frist verweist Abschn. 9.1. Abs. 3 UStAE zutreffend auf das BFH-Urteil v. 10.12.2008[2], wonach sowohl die Erklärung der Option als auch deren Widerruf nur bis zur formellen Bestandskraft der jeweiligen Jahressteuerfestsetzung zulässig ist.[3] Diese Erklärung kann auch durch konkludentes Handeln abgegeben werden.[4]

 

Rz. 36

Seit der Schaffung des § 9 Abs. 3 UStG zum 1.1.2002 ist bei Grundstückslieferungen im Zwangsversteigerungsverfahren der Verzicht gem. § 9 Abs. 1 UStG nur bis zur Aufforderung zur Abgabe von Geboten im Versteigerungstermin zulässig.

 

Rz. 37

Der BFH hat in seiner Entscheidung v. 1.12.1994[5] folgenden Leitsatz aufgestellt:

Zitat

Ein Unternehmer kann auf die Steuerbefreiung eines Grundstücksumsatzes verzichten, indem er ihn als steuerpflichtig behandelt. Dies geschieht regelmäßig dadurch, daß er die Lieferung des Grundstücks dem Leistungsempfänger unter gesondertem Ausweis der USt in Rechnung stellt oder in seiner Steueranmeldung als steuerpflichtig behandelt. Es reicht nicht aus, daß er in einem Rechtsstreit, der lediglich den Vorsteuerabzug früherer Jahre betrifft, "hilfsweise" auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes verzichtet.

 

Rz. 38

Abgesehen davon, dass im Streitfall tatsächlich keine USt offen in Rechnung gestellt worden war, sodass der Leitsatz des Urteils durch den Sachverhalt eigentlich gar nicht veranlasst war, sprechen die o. a. Gründe gegen die Anerkennung einer Rechnung mit offenem Steuerausweis als bereits allein ausreichender Beleg für den Verzicht auf eine Steuerbefreiung gem. § 9 UStG. Insbesondere spricht gegen die Ansicht des BFH, dass z. B. die nachträgliche Erteilung einer Rechnung mit offenem Steuerausweis oder die Berichtigung des offenen Steuerausweises in einer Rechnung, die ebenso wie die Ausgabe einer Rechnung über einen Umsatz, auf den § 9 UStG angewandt wurde, gem. § 22 UStG nicht aufzeichnungspflichtig ist, der Berichtigung einer Steuererklärung gleich käme. In einer Anmerkung[6] zu dem BFH-Urteil v. 27.7.1995[7], in dem es um die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen ging, wird aus der vom BFH als Indiz für die Zuordnung zum Unternehmen angesehenen Rechnungserteilung mit offenem Steuerausweis bei der Veräußerung dieses Gegenstands der Schluss gezogen, dies entspreche der Behandlung als steuerpflichtig i. S. v. § 9 Abs. 1 UStG. Diese Gleichsetzung kann nicht überzeugen, weil zwischen der Steuerbarkeit und der Steuerpflicht unterschieden werden muss. Im Urteil v. 16.7.1997[8] hat der BFH die Auffassung aus dem Urteil v. 1.12.1994 allerdings bestätigt, ohne sich mit den hier angeführten Gesichtspunkten auseinanderzusetzen. Der Verzicht auf die Steuerbefreiung könne aber auch in anderer Weise, z. B. durch schlüssiges Verhalten erfolgen.[9]

 

Rz. 39

Wenn der Grundstückslieferer nach Eintritt der formellen Bestandskraft der Jahressteuerfestsetzung, also zu einem Zeitpunkt, in dem von § 9 UStG nicht mehr Gebrauch gemacht werden darf (Rz. 35), eine Rechnung mit offenem Steuerausweis ausstellt, ergibt sich die weitere Frage, ob der Leistungsempfänger aus dieser Rechnung zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Bis zu dem BFH-Urteil v. 2.4.1998[10] konnte man dies bejahen.[11] Weil sich aber die Steuerschuld des Grundstückslieferers in diesem Fall dann aus § 14c Abs. 1 UStG – Hingabe einer Rechnung mit unzutreffendem Steuerausweis – ergibt und nicht aus der Steuerpflicht der Lieferung, ist der Vorsteuerabzug nicht zulässig.[12] Der BFH hat seine Auffassung zur Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts auf die für den vom Leistenden für den Umsatz geschuldete USt in dem Urteil v. 2.4.1998 gerade an einem Fall entwickelt, in dem ein Unternehmer eine Rechnung mit offenem Steuerausweis über einen Grundstücksumsatz zu einem Zeitpunkt erteilt hatte, als die Option gem. § 9 UStG nicht mehr zulässig war (Rz. 41). Freilich hätte es in diesem Fall nahe gelegen, die erst nachträglich erteilte Rechnung mit offenem Steuerausweis nicht als ein den Vorsteuerabzug ermöglichendes Dokument anzusehen.[13]

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