Rz. 4

Bei steuerfreien Transaktionen unterscheidet man zwischen

  • steuerfreien Umsätzen, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen (sog. Nullsatz-Umsätze); für welche Umsätze im Einzelnen der Ausschluss vom Vorsteuerabzug nicht eintritt, ist in § 15 Abs. 3 UStG geregelt;
  • steuerfreie Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen (sog. unechte Steuerbefreiungen); bei welchen Umsätzen der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist, regelt im Einzelnen § 15 Abs. 2 UStG.
 

Rz. 5

Unechte, den Vorsteuerabzug ausschließende Steuerbefreiungen widersprechen dem System der Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug, wonach alle Waren und Dienstleistungen, die beim Letztverbraucher ankommen, exakt mit dem für den Umsatz festgesetzten Steuersatz belastet sein sollen. Beträgt der Nettopreis für eine vom Letztverbraucher erworbene Ware oder Dienstleistung z. B. 1.000 Rechnungseinheiten und beträgt der Mehrwertsteuersatz z. B. 10 %, so wird der Letztverbraucher in einem idealen Mehrwertsteuersystem exakt nur mit 100 Rechnungseinheiten belastet. Das bedeutet gleichzeitig, dass der Nettopreis der Ware vollständig von etwaigen Restmehrwertsteuern entlastet ist.

 

Rz. 6

Eine solche Entlastung des Nettopreises ist bei unechten Steuerbefreiungen dadurch nicht möglich, dass der leistende Unternehmer keinen Vorsteuerabzug besitzt. So sind z. B. ärztliche Leistungen nach § 4 Nr. 14 UStG zwar umsatzsteuerfrei, die Ärzte haben jedoch für ihre Eingangsumsätze (z. B. für die Anschaffung medizinischer Geräte) keinen Vorsteuerabzug und müssen von daher diese nichtabzugsfähige Steuer im Preis an ihre Patienten weitergeben. Von daher wird ein ärztlicher Patient nicht etwa mit null Mehrwertsteuer, sondern mit der im Preis auf ihn abgewälzten nicht abziehbaren Steuer, d. h. mit Restmehrwertsteuer belastet. Die einzige Mehrwertsteuer, die der Patient nicht zu tragen hat, ist die USt auf den von dem Arzt erzielten Mehrwert.

 

Rz. 7

Systemgerecht sind hingegen Steuerbefreiungen mit Vorsteuerabzug, sog. Nullsätze. Diese wirken sich tatsächlich aus, wenn sie tatsächlich auch auf der Letztverbrauchsstufe (Leistung an einen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Abnehmer) angewendet werden können. Auf dieser Stufe bestimmt und realisiert sich endgültig die umsatzsteuerliche Belastung einer Ware oder Dienstleistung.

 

Rz. 8

Demgegenüber tritt bei einem sog. Nullsatz-Umsatz keine Umsatzsteuerentlastung ein, wenn die Steuerbefreiung nur auf einer bestimmten Umsatzstufe innerhalb der Unternehmerkette gewährt wird. Folgt einer dem Nullsatz unterliegenden Umsatzstufe die Letztverbrauchsstufe und ist auf dieser ein höherer Steuersatz anzuwenden, wird die Steuerbefreiung der vorangegangenen Stufe automatisch wieder kompensiert (sog. positive Nachholwirkung), da der Unternehmer, der an den Letztverbraucher leistet, wegen der Steuerbefreiung auf der Vorstufe im Ergebnis keinen Vorsteuerabzug geltend machen konnte.

 

Rz. 9

Die Systemfremdheit der unechten Steuerbefreiungen wird besonders dort deutlich, wo es zu Kumulationswirkungen kommt. Wird ein steuerbefreiter (nicht zum Vorsteuerabzug berechtigender) Umsatz an einen Unternehmer erbracht, der seinerseits seine Umsätze voll der Steuer unterwerfen muss, führt die bei dem befreiten Unternehmer nicht abziehbare Vorsteuer – die Überwälzung im Preis vorausgesetzt – zunächst zu einer Belastung des steuerpflichtigen Unternehmers, der die im Preis enthaltene Restmehrwertsteuer des Vorunternehmers nicht als Vorsteuer abziehen kann. Der steuerpflichtige Unternehmer wird seinerseits versuchen, die Restmehrwertsteuer im Nettopreis auf seinen Abnehmer abzuwälzen. Da sich die Ausgangs-Mehrwertsteuer nach diesem Preis bemisst, entsteht von der Restmehrwertsteuer – kumulierend – neue Steuer.

 

Rz. 9a

Nach dem EuGH-Urteil v. 7.12.2006[1] gehen die Steuerbefreiungen ohne Vorsteuerabzug (§ 4 Nr. 8-28 UStG, § 25c Abs. 1 und 2 UStG) den Steuerbefreiungen mit Vorsteuerabzug (§ 4 Nr. 1–7 UStG) vor.[2] So sind z. B. Lieferungen von Blutkonserven an in anderen Mitgliedstaaten ansässige NATO-Streitkräfte oder eine Heilbehandlungsleistung an das Mitglied einer im EU-Ausland ansässigen diplomatischen Mission nicht nach § 4 Nr. 7 UStG (mit Vorsteuerabzug), sondern nach § 4 Nr. 17 Buchst. a bzw. nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG (ohne Vorsteuerabzug) steuerfrei.

 

Rz. 10

Die Systemwidrigkeit der unechten Steuerbefreiungen wird dadurch etwas gemildert, dass für bestimmte steuerbefreite Umsätze die Option zur Steuerpflicht (§ 9 UStG) möglich ist. Über die Option erhält der Unternehmer die Möglichkeit, die auf seinen Eingangsumsätzen lastende Vorsteuer abziehen zu können.

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