Rz. 116

Grundsätzlich sind die Voraussetzungen der Unternehmereigenschaft isoliert zu prüfen. In vielen Fällen ergeben sich jedoch wegen der Vielschichtigkeit unternehmerischen Handelns Überschneidungen, sodass die Unternehmereigenschaft nach dem Gesamtbild der Verhältnisse geprüft werden muss. So kann es sein, dass bei einer isolierten Betrachtung gute Argumente gegen eine unternehmerische Betätigung vorliegen, dies aber mit einer wirtschaftlichen Betrachtung nicht in Einklang zu bringen ist und somit nicht gerechtfertigte Steuervorteile oder Steuernachteile nach sich ziehen würde. Ein typischer Fall für eine solche gesamtheitliche Betrachtungsweise ist die Frage der unternehmerischen Betätigung beim sog. echten Factoring: Während nach der früheren Rechtsprechung des BFH (Rz. 124) derjenige, der Forderungen aufkaufte und diese – ihm dann gehörenden – Forderungen für eigene Rechnung einzog, keine unternehmerische Betätigung ausführte, ist dies nach der geänderten Rechtsprechung tatsächlich eine unternehmerische Betätigung, soweit es sich um werthaltige Forderungen handelt.

 

Rz. 117

Die Anwendung der Vorschriften zur Unternehmereigenschaft hängen aber auch oft mit den weiteren Vorschriften des Umsatzsteuerrechts zusammen. So hat der Gesetzgeber (und mittelbar auch die FinVerw) bis heute nicht auf die Rechtsprechung des EuGH zur Unternehmereigenschaft bei Vereinen und Vereinigungen reagiert und beurteilt die echten Mitgliederbeiträge unterschiedslos als nicht steuerbare und insoweit als in der nichtunternehmerischen Sphäre anfallende Umsätze. Zumindest aus der Sicht der FinVerw ist die Beibehaltung der Rechtsprechungsgrundsätze des BFH von vor mehr als 50 Jahren fast zwangsläufig, um größere unionsrechtliche Probleme wegen der nicht unionsrechtskonformen Umsetzung der Steuerbefreiungsnormen nach Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL zu vermeiden. Da der EuGH[1] aber die insbesondere für gemeinnützige Sportvereine relevante Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL als nicht unmittelbar berufbar eingeordnet hatte, muss eine nationale Anpassung der Steuerbefreiungsnormen[2] erfolgen, die dann hoffentlich auch die Frage der Mitgliedsbeiträge bei Vereinigungen mit erfasst.

[1] EuGH v. 10.12.2020, C-488/18, Golfclub Schloss Igling e. V., BFH/NV 2021, 430; nachfolgend BFH v. 21.4.2022, V R 48/20, BFH/NV 2022, 792.
[2] Vgl. dazu auch die Aufforderung des Bundesrats v. 28.10.2022 im Zusammenhang mit dem Jahressteuergesetz 2022, BR-Drs. 457/22 (Beschluss).

4.1 Unternehmereigenschaft von Holdingstrukturen

 

Rz. 118

Das Halten von Beteiligungen an anderen Unternehmen kann aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht in völlig unterschiedlicher Form beurteilt werden. Grundsätzlich ergeben sich hier die folgenden Möglichkeiten:

  • Der Gesellschafter ist nicht Unternehmer nach § 2 UStG und erlangt durch die Beteiligung keine Unternehmereigenschaft. In diesem Fall ergeben sich keine umsatzsteuerrechtlichen Schwierigkeiten, die Beteiligung wird nicht im Rahmen eines Unternehmens gehalten, ein Vorsteuerabzug aus damit im Zusammenhang stehenden Eingangsleistungen ergibt sich in Ermangelung der Unternehmereigenschaft des Gesellschafters nicht; ein Verkauf der Beteiligung vollzieht sich außerhalb der unternehmerischen Betätigung und ist deshalb nicht steuerbar.
  • Der Gesellschafter ist Unternehmer nach § 2 UStG, hält die Beteiligung aber nicht in seinem Unternehmen. In diesem Fall vollziehen sich Umsätze im Zusammenhang mit der Beteiligung (z. B. Anteilsveräußerungen) im Rahmen nicht steuerbarer Umsätze. Vorsteuerbeträge aus Leistungsbezügen, die unmittelbar mit der Beteiligung im Zusammenhang stehen, können nicht abgezogen werden, da die Leistung nicht für das Unternehmen bezogen wird. Eingangsleistungen, die nicht ausschließlich der Beteiligung oder den unternehmerischen Zwecken zugeordnet werden können, müssen analog § 15 Abs. 4 UStG aufgeteilt werden.
  • Der Gesellschafter ist Unternehmer nach § 2 UStG und kann die Beteiligung auch seinem Unternehmen zuordnen. In diesem Fall muss geprüft werden, ob eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft vorliegt (Rz. 174ff.) und insoweit ein einheitliches Unternehmen vorliegt. Sind die Voraussetzungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft nicht gegeben, müssen die Folgerungen aus den untereinander ausgeführten Leistungen geprüft werden. Anteilsverkäufe vollziehen sich im Rahmen der unternehmerischen Betätigung, sind in Abhängigkeit des Leistungsempfängers steuerbar, unterliegen aber der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. e oder Buchst. f UStG. Der Veräußerer kann aber unter den Voraussetzungen des § 9 UStG auf die Steuerbefreiung verzichten. Vorsteuerabzugsbeträge im Zusammenhang mit den Beteiligungen können grundsätzlich nach § 15 Abs. 1 UStG geltend gemacht werden, es kommt auch nicht zu einer Einschränkung des Vorsteuerabzugs für die Kosten aus dem Erwerb oder dem Halten der Beteiligung.[1]
 

Rz. 119

Die Fragestellung der unternehmerischen Betätigung im Zusammenhang mit dem Halten von Beteiligungen (im Folgenden: Holding) setzt keine darauf ausgerichtete...

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