Rz. 10

Das Unionsrecht hat einen immer größeren Einfluss auf die Rechtsentwicklung im Umsatzsteuerrecht in Deutschland, begründet durch den Anwendungsvorrang unionsrechtlicher vor den innerstaatlichen Normen, vgl. dazu ausführlich die Einführung in das EU-Recht. Es gibt kaum eine Entwicklung in der Rechtsauffassung bezüglich der Unternehmereigenschaft, die nicht durch die Rechtsprechung des EuGH maßgeblich beeinflusst worden ist. So hat der EuGH entschieden, dass auch schon die Vorbereitungshandlung zur Unternehmereigenschaft führt, wenn der Unternehmer die Ausführung entgeltlicher Umsätze ernsthaft plant.[1] Auch die Frage, ob die Verwaltung eigenen Vermögens zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit führt, musste vom EuGH entschieden – und abgelehnt – werden.[2] Die Abgrenzung der unternehmerischen von der privaten Vermietung von Freizeitgegenständen[3] wie auch die Frage der Zuordnungsmöglichkeit von Leistungen zum Unternehmen[4] hätte sich ohne die Rechtsprechung des EuGH so nicht entwickelt.

Aber auch die Entwicklung zur Frage, ob eine Tätigkeit als Aufsichtsrat[5] zu einer unternehmerischen Betätigung führt, wäre ohne die grundlegende Rechtsprechung des EuGH[6] nicht möglich gewesen.

 

Rz. 11

2003 hatte der EuGH[7] entschieden, dass eine Gesellschaft, die das echte Factoring (Ankauf von Forderungen unter Übernahme des vollen Ausfallwagnisses) betreibt, insoweit als Unternehmer anzusehen ist und damit grundsätzlich den Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen nach § 15 Abs. 1 UStG begehren kann. Damit wurde die jahrzehntelange Übung in Deutschland, diesen am Wirtschaftsverkehr Beteiligten die Unternehmereigenschaft zu verwehren, beendet. Der BFH hat diese Entscheidung des EuGH[8] in die nationale Rechtsprechung übernommen (Rz. 124ff.). Allerdings hat der EuGH[9] die Tätigkeiten beim Erwerb und der Veräußerung sog. zahlungsgestörter Forderungen nicht als eine wirtschaftliche Tätigkeit angesehen; die Folgerechtsprechung des BFH[10] wurde von der FinVerw[11] allerdings erst Ende 2015 national umgesetzt (Rz. 130ff.).

 

Rz. 12

Auch die Frage der Unternehmereigenschaft einer Vorgründungsgesellschaft bei der Gründung einer Kapitalgesellschaft ist durch die Rechtsprechung des EuGH unionsrechtlich anders interpretiert worden, als dies früher national umgesetzt wurde. Mit Urteil v. 29.4.2004[12] hat der EuGH auf den Vorlagebeschluss des BFH[13] einer solchen Vorgründungsgesellschaft die Unternehmereigenschaft und damit den Vorsteuerabzug aus erhaltenen Eingangsleistungen nach § 15 Abs. 1 UStG zugebilligt, auch wenn sie selbst keine Ausgangsumsätze erzielt hat, sondern die erworbenen Vorleistungen im Rahmen einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen[14] an die gegründete Kapitalgesellschaft übertragen hat. Dabei sind die Ausgangsumsätze der später entstehenden Kapitalgesellschaft zur Beurteilung des Rechts auf Vorsteuerabzug heranzuziehen (Rz. 286ff.). Zu den sich in der Folge ergebenden Rechtsfragen[15] hatte die FinVerw[16] dann erst 2022 Stellung genommen und entsprechende Anpassungen im UStAE vorgenommen.

 

Rz. 13

Die Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH[17] zur Unternehmereigenschaft einer Holding (vgl. dazu ausführlich Rz. 118) haben ebenfalls prägenden Einfluss auf die nationale Interpretation der Unternehmereigenschaft gehabt. Die Entwicklung der Rechtsprechung zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft wie auch zur Frage der Unternehmereigenschaft eines gegenüber seiner Personengesellschaft tätig werdenden Gesellschafters wäre ohne diese Rechtsgrundsätze nicht denkbar gewesen. Neue Wege haben sich national für die Beurteilung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft nach der Rechtsprechung des EuGH[18] ergeben. Nachdem der EuGH das zwingende Über- und Unterordnungsverhältnis wie auch die Beschränkung der Eingliederung auf juristische Personen in Frage gestellt hatte, hat der BFH in diversen Verfahren[19] die Vorgaben zur Organschaft teilweise geändert, sodass auch die FinVerw[20] Veränderungen vornehmen musste. Aber auch die dann von der nationalen Rechtsprechung und der FinVerw vorgenommenen Änderungen sind dann wieder vom EuGH so nicht akzeptiert worden. Dies betrifft sowohl die Frage der Eingliederung von Personengesellschaften in einen Organkreis[21] als auch die Grundsätze der Organschaft[22] als solche. Welche Änderungen deshalb vom Gesetzgeber vorgenommen werden, muss abgewartet werden (Rz. 182a ff.).

 

Rz. 14

Ohne die Rechtsprechung des EuGH wäre auch nicht die Veränderung bei der Beurteilung der Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts möglich gewesen. Sowohl die abschließende Beurteilung, wie die "größere Wettbewerbsverzerrung" bei der Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zu beurteilen ist, wie auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Vermietungstätigkeit einer solchen Person zu einer unternehmerischen Betätigung führen kann, wurde erst durch die Rechtsprechung des EuGH[23] ermöglicht. Die Vorgaben des EuGH i. V. m. der Rechtsprechun...

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