Rz. 43

Das Gutachten unterliegt wie jedes andere Beweismittel der freien Beweiswürdigung durch die Finanzbehörde.[1] Diese ist weder an den Inhalt des Gutachtens gebunden, noch darf sie dessen Aussagen schlicht übernehmen. Die Finanzbehörde muss sich vielmehr selbst eine sichere Überzeugung bilden[2] und deshalb in Eigenverantwortung prüfen, ob das erstattete Gutachten vollständig, widerspruchsfrei und fachlich stichhaltig ist.[3] Ist die Finanzbehörde danach von der Richtigkeit des Gutachtens überzeugt, so muss sie sich die Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen zu eigen machen.[4] Einwände gegen die Richtigkeit des Gutachtens kann der Beteiligte ausschließlich im Wege einer Gegenvorstellung[5] erheben, da mangels Verwaltungsaktqualität des Gutachtens das Rechtsmittel des Einspruchs nicht statthaft ist. Sowohl die Annahme als auch die Ablehnung der sachverständigen Schlussfolgerungen sind im Rahmen der Verwaltungsentscheidung zu begründen. Die pauschale Bezugnahme auf den Inhalt des Gutachtens genügt nicht.

 

Rz. 44

Hält die Finanzbehörde das Gutachten für nicht ausreichend, so kann sie eine weitere Begutachtung durch denselben oder einen anderen Sachverständigen anordnen.[6] Die von einem Gutachten überzeugte Finanzbehörde ist aber auch für den Fall, dass der Beteiligte ein solches verlangt, nur dann zur Einholung eines zweiten Gutachtens verpflichtet, wenn das vorliegende Gutachten mit schweren Mängeln behaftet ist oder begründeter Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Sachverständigen bestehen.[7] Eine weitere Beweiserhebung muss sich geradezu aufdrängen. Daneben ist die Einschaltung eines zweiten Sachverständigen regelmäßig bei nachträglich bekannt werdenden Befangenheitsgründen geboten. Bei divergierenden Gutachten ist die Finanzbehörde jedenfalls dann, wenn sie davon ausgehen kann, dass ein weiteres Gutachten keine besseren Erkenntnisse bringen würde, nicht zur Einholung eines Obergutachtens verpflichtet. Allerdings darf sie sich auch nicht ohne weitere Klärungsversuche mit der Feststellung begnügen, keiner der Sachverständigen habe mehr überzeugt als der andere.[8]

 

Rz. 45

Privatgutachten (d. h. freiwillig vom Beteiligten vorgelegte Gutachten) sind urkundlich belegtes Vorbringen und wie sonstige Erklärungen des Beteiligten in die Beweiswürdigung einzubeziehen. Solche Gutachten untermauern lediglich die Sichtweise des Beteiligten, sind aber mangels Einholung durch die Finanzbehörde keine Sachverständigengutachten i. S. d. § 96 AO. Dies gilt gleichermaßen für private Rechtsgutachten. Der Beteiligte hat deshalb auch keinen Anspruch darauf, dass der von ihm beauftragte Sachverständige persönlich vernommen wird.[9] Dies bedeutet allerdings nicht, dass Privatgutachten gegenüber dem nach § 96 AO eingeholten Gutachten von vornherein nachrangig wären. Die Finanzbehörde muss sich vielmehr mit diesem auseinandersetzen und in ihrer Entscheidung darlegen, warum sie das abweichende Privatgutachten nicht für geeignet hält, die Ergebnisse des vom zugezogenen Sachverständigen erstatteten Gutachtens zu erschüttern.

 

Rz. 46

Die Finanzbehörden nutzen im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung häufig die besondere Sachkunde von Angehörigen der Steuerverwaltung und lassen von diesen – ebenfalls frei zu würdigende – Gutachten erstellen. Die Finanzbehörden können solchen Gutachten folgen und müssen kein weiteres Gutachten einholen, wenn an der Zuverlässigkeit und Objektivität des amtlichen Gutachtens keine Zweifel bestehen.[10] Denn die AO geht von einem Leitbild einer Verwaltung aus, die nicht parteiisch ist.[11] Im finanzgerichtlichen Verfahren ist ein solches im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholtes Gutachten allerdings als Privatgutachten zu behandeln, sobald der Beteiligte gegen dieses substantiierte Einwendungen erhebt.[12]

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