Rz. 36

Der Begriff der Erfüllung ist in der AO nicht definiert und daher auf der Grundlage von § 362 Abs. 1 BGB zu bestimmen.[1] Danach ist unter Erfüllung die Tilgung der Schuld durch das Bewirken der geschuldeten Leistung an den Gläubiger zu verstehen. Dies kann auch durch einen Dritten geschehen.[2]

Da Gegenstand einer Gesamtschuld i. S. v. § 44 AO nur Geldleistungspflichten sein können (Rz. 3), setzt die Erfüllung die Zahlung des geschuldeten Geldbetrags an die Finanzbehörde voraus.[3] Wie sich aus § 224 Abs. 2 AO ergibt, kann die Zahlung durch Barzahlung, durch Einzahlung oder Überweisung auf ein Bankkonto der Finanzbehörde, durch Lastschrifteinzug oder durch Scheckzahlung erfolgen. Da die Scheckzahlung lediglich erfüllungshalber[4] erfolgt, hängt der Eintritt der Erfüllungswirkung in ihrem Fall allerdings von der Einlösung des Schecks durch die bezogene Bank ab.[5] Zahlungen im Wege der Vollstreckung stehen nach § 296 Abs. 2 AO, § 301 Abs. 2 AO freiwillig bewirkten Zahlungen gleich.[6]

Anders als nach § 422 Abs. 1 BGB stellt § 44 Abs. 2 S. 1 AO die Leistung an Erfüllungs statt[7] und die Hinterlegung[8] der Erfüllung nicht gleich. § 224a AO sieht allerdings für die Erbschaftsteuer und die mit Ablauf des Jahres 1996 weggefallene Vermögensteuer die Möglichkeit der Hingabe von Kunstgegenständen an Zahlungs statt vor. Der Sache nach handelt es sich dabei um die auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrags erfolgende Annahme einer Leistung an Erfüllungs statt. Für die Möglichkeit einer schuldbefreienden Hinterlegung besteht gegenüber der Finanzbehörde kein Bedürfnis.

 

Rz. 37

Die schuldbefreiende Wirkung der von einem Gesamtschuldner erbrachten Leistung zugunsten der anderen Gesamtschuldner setzt keine entsprechende Tilgungsbestimmung des Leistenden voraus.[9] Die Rspr. des BFH, wonach die von einem Gesamtschuldner ohne nähere Bestimmung erbrachten Leistungen grundsätzlich nur auf die eigene Schuld erbracht werden, betrifft nicht die Wirkungen des § 44 Abs. 2 S. 1 AO, sondern allein die Frage, für wessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist und wem deshalb ein eventueller Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO zusteht.[10] Die schuldbefreiende Wirkung tritt im Umfang der erbrachten Erfüllungsleistung ein.[11]

 

Rz. 38

Hinsichtlich des verbleibenden Restbetrags entscheidet die Finanzbehörde nach ihrem Ermessen, welche(n) der Gesamtschuldner sie in welcher Höhe in Anspruch nimmt.

Die zugunsten der anderen Gesamtschuldner eingetretene Erfüllungswirkung ist in der Regel endgültig.[12] Anders verhält es sich, wenn der Anspruch der Finanzbehörde nach § 144 Abs. 1 InsO wieder auflebt, weil diese die empfangene Zahlung aufgrund einer von dem Insolvenzverwalter erklärten Anfechtung zurück gewährt hat[13], oder wenn nach Stellung eines Aufteilungsantrags Zahlungen geleistet werden, die nach § 276 Abs. 6 AO allein dem Leistenden zuzurechnen sind.[14] Demgegenüber hat eine zu Unrecht erfolgte Erstattung des gezahlten Betrags nicht das Wiederaufleben des ursprünglichen Anspruchs zur Folge, sondern begründet einen Erstattungsanspruch[15] allein gegenüber dem Leistungsempfänger.[16] Hat der Bedachte die Schenkungsteuer entrichtet, kann sie auch dann nicht mehr gegenüber dem Schenker festgesetzt werden, wenn die Steuer dem Bedachten aufgrund eines durch unrichtige Angaben erwirkten Änderungsbescheids (teilweise) erstattet und später diesem gegenüber wieder in der ursprünglichen Höhe festgesetzt wird.[17]

 

Rz. 39

Da die Erfüllung allein die Verwirklichung des Anspruchs betrifft, hat die sich aus § 44 Abs. 1 S. 1 AO ergebende Gesamtwirkung nicht zur Folge, dass gegenüber den anderen Gesamtschuldnern bereits ergangene Steuerbescheide aufzuheben sind. Erforderlichenfalls ist durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO über den Untergang des Anspruchs zu entscheiden. Demgegenüber ist die Aufrechterhaltung von Haftungsbescheiden ermessensfehlerhaft, soweit die Schuld, für die gehaftet wird, nicht mehr besteht.[18]

Rz. 40–41 einstweilen frei

[1] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 44 AO Rz. 18; Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 44 AO Rz. 21; Klein/Ratschow, AO, 15. Aufl. 2020, § 44 Rz. 18; Koenig/Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 44 Rz. 16.
[2] § 48 Abs. 1 AO; Art. 109 Abs. 2 UZK.
[3] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 44 AO Rz. 18; Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 44 AO Rz. 21; Klein/Ratschow, AO, 15. Aufl. 2020, § 44 Rz. 18.
[6] BFH v. 8.8.1991, V R 19/81, BStBl II 1991, 939; Boeker, in HHSp, AO/FGO, § 44 AO Rz. 29; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 44 AO Rz. 18; Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 44 AO Rz. 21.
[9] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 44 AO Rz. 17.
[11] BFH v. 8.8.1991, V R 19/88, BStBl II 1991, 939; Drüen, in Tipke/Kruse, ...

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