Rz. 274

Aus § 369 Abs. 2 AO ergibt sich auch ein Verweis auf das JGG (vgl. Rz. 50), wobei zu berücksichtigen ist, dass dem JGG in der Praxis nur geringe Bedeutung zukommt.[1] Aus § 2 Abs. 2 JGG ergibt sich, dass das JGG gegenüber den allgemeinen Vorschriften Vorrang genießt. Im Zusammenhang mit dem materiellen Steuerstrafrecht sind dies die §§ 132, 105f., 112a JGG.[2] Im Hinblick auf das Strafverfahren enthält § 385 Abs. 1 AO eine selbständige Verweisung auf das JGG.[3]

 

Rz. 275

Voraussetzung für die Anwendbarkeit des JGG ist, dass derjenige, der eine mit Strafe bedrohte Verfehlung begeht, im Zeitpunkt der Tat ein Jugendlicher (= mindestens 14 Jahre, aber noch nicht 18 Jahre alt) oder ein Heranwachsender (mindestens 18, aber noch keine 21 Jahre alt) war.

Für jugendliche Täter gilt die sog. relative Strafmündigkeit. Im Gegensatz zu Erwachsenen wird bei Ihnen nicht die Schuldfähigkeit widerleglich vermutet, sondern in jedem Einzelfall muss positiv festgestellt werden, dass der Jugendliche zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug war, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.[4] Wird dies bejaht, so ist der Jugendliche für seine Tat strafrechtlich verantwortlich, so dass die Anordnung der Rechtsfolgen des JGG – insb. Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe – anwendbar sind.[5] Wird die Strafmündigkeit im Einzelfall verneint, so können und dürfen lediglich familien- und jugendrechtliche Maßnahmen angeordnet werden.[6]

 

Rz. 276

Im Gegensatz zu Jugendlichen wird bei Heranwachsenden - ebenso wie bei Erwachsenen – davon ausgegangen, dass sie grundsätzlich schuldfähig sind. Trotzdem hat der Gesetzgeber für zwei Fälle geregelt, dass auch Heranwachsende wie Jugendliche zu behandeln sind. Die in § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG geregelte Variante, dass es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt, dürfte im Steuerstrafrecht keine Anwendung finden. Denkbar sind hingegen Fälle, in denen die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand.[7] Wird dies bejaht, so ergibt sich daraus keine Aussage zur Schuldfähigkeit des Heranwachsenden, sondern § 105 Abs. 1 JGG ordnet (lediglich) an, dass die eigentlich für Jugendliche anwendbaren §§ 48, 9 Nr. 1, 10, 11 und 13–32 JGG auch entsprechende Anwendung auf den Heranwachsenden finden.

 

Rz. 277

Im Hinblick auf die Folgen einer Straftat geht das JGG davon aus, dass erzieherische Maßnahmen gegenüber Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe vorrangig sind.[8] Erzieherische Maßnahmen i. d. S. sind Weisungen i. S. d. § 10 JGG und Hilfe zur Erziehung i. S. d. § 12 JGG.[9] Zuchtmittel sind hingegen angezeigt, wenn erzieherische Maßnahmen nicht ausreichen, da dem Jugendlichen eindringlich bewusst gemacht werden muss, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat, aber Jugendstrafe (noch) nicht geboten ist.[10] Zuchtmitteln kommt gem. § 13 Abs. 3 JGG nicht die Rechtswirkung einer Strafe zu und es handelt sich dabei im Einzelnen um die Verwarnung, die Erteilung von Auflagen i. S. d. § 15 JGG und den Jugendarrest.[11] Jugendstrafe als stärkste Reaktion nach dem JGG ist hingegen angezeigt, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.[12]

Eine weitere wichtige Besonderheit des JGG ergibt sich daraus, dass abweichend von den §§ 52ff. StGB im Fall von mehreren selbständigen Straftaten das Gericht immer nur auf eine einheitliche Strafe erkennt und nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festsetzt.[13]

[2] Ebenso Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 369 AO Rz. 149; Krumm, in Tipke/Kruse, 159. Lfg. 1/2020, § 369 AO Rz. 48.
[5] Vgl. §§ 5ff. JGG.
[6] Vgl. § 3 S. 2 JGG.

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