1 Allgemeines

1.1 Überblick und Zweck

 

Rz. 1

§ 354 AO regelt die Voraussetzungen und die Wirkungen des Verzichts auf einen Einspruch und die Geltendmachung seiner Unwirksamkeit.

Abs. 1 S. 1 und 2 stellt klar, dass der Verzicht grds. erst nach Erlass des anfechtbaren Verwaltungsakts erfolgen kann bzw. bei Abgabe einer Steueranmeldung unter der Bedingung, dass keine von dieser abweichende Steuerfestsetzung erfolgt. Abs. 1 S. 3 bestimmt die Unzulässigkeit des Einspruchs als Rechtsfolge des Verzichts.

Abs. 1a erlaubt eine inhaltliche Beschränkung des Einspruchsverzichts im Hinblick auf ein Verständigungs- und Schiedsverfahren nach einem zwischenstaatlichen Vertrag.

Abs. 1b ermöglicht, dass der nach § 354 Abs. 1a AO zulässige Teilverzicht auf den Einspruch bereits vor Erlass des Verwaltungsakts erklärt werden kann.

Abs. 2 schreibt in S. 1 Form und Adressat des Verzichts vor und bestimmt in S. 2 die Frist binnen derer eine Unwirksamkeit des Verzichts geltend gemacht werden muss.

 

Rz. 2

Der Verzicht führt – mit Ausnahme der in Abs. 1a und Abs. 1b vorgesehenen Möglichkeiten eines Teilverzichts – zum vollständigen Wegfall der Einspruchsmöglichkeit. Der Stpfl. verzichtet damit zugleich auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Rechtsschutz gegen den Verwaltungsakt. Denn der wirksame Verzicht auf die Einspruchseinlegung führt zur Unzulässigkeit eines später doch eingelegten Einspruchs und hindert die Finanzbehörde im Einspruchsverfahren und das FG im Klageverfahren, eine Sachentscheidung zu treffen. Zum Schutz des Stpfl. bestimmt § 354 AO daher, dass dieser Grundrechtsverzicht grds. erst nach Erlass des betreffenden Verwaltungsakts und nur unter Beachtung zwingender Formvorschriften möglich ist. An die Wirksamkeit eines Einspruchsverzichts sind im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes strenge Anforderungen zu stellen.[1]

 

Rz. 3

Der Verzicht auf einen Einspruch wird dann in Betracht kommen, wenn der Stpfl. im Gegenzug von der Finanzbehörde ein Entgegenkommen erwartet.[2] Dies kann im Zusammenhang mit einer Billigkeitsmaßnahme der Fall sein.

Der Einspruchsverzicht kann von dem Stpfl. eingesetzt werden, um den Eintritt der Bestandskraft und der Festsetzungsverjährung herbeizuführen und dadurch eine Änderung des Verwaltungsakts zu seinen Lasten durch das FA zu verhindern.[3]

Außerdem kann auf einen Einspruch verzichtet werden, um eine unsichere Sach- und Rechtslage, z. B. im Rahmen einer Betriebsprüfung, verbindlich und abschließend zu regeln. Der Einspruchsverzicht hat in diesen Fällen eine friedensstiftende Bedeutung, indem er den Besteuerungsfall definitiv ohne weitere Streitmöglichkeiten beendet.[4] In der Praxis werden zu diesem Zwecke aber wohl eher tatsächliche Verständigungen getroffen.

Von größerer Bedeutung dürfte der Verzicht auf den Einspruch im Zusammenhang mit der in Abs. 1a und in Abs. 1b genannten Durchführung von Verständigungs- und Schlichtungsverfahren nach DBA oder anderen zwischenstaatlichen Verträgen sein. Die Wirksamkeit der dabei getroffenen Vereinbarungen steht regelmäßig unter dem Vorbehalt, dass die von ihnen betroffenen Besteuerungsgrundlagen nicht Gegenstand eines Einspruchs- oder Klageverfahrens sind. Um unnötige Verzögerungen zu vermeiden, dem Stpfl. aber seinen Rechtsschutz bzgl. anderer Besteuerungsgrundlagen zu belassen, erlaubt § 354 Abs. 1a AO ausnahmsweise einen teilweisen Einspruchsverzicht.

[2] Tappe, in HHSp, AO/FGO, § 354 AO Rz. 5.
[4] Rößler, DStZ 1988, 375 (376),

1.2 Rechtsentwicklung

 

Rz. 4

Die Regelungen von § 354 Abs. 1 und 2 AO gehen im Wesentlichen zurück auf § 235 RAO, der den Verzicht auf einen außergerichtlichen Rechtsbehelf aber auch schon vor dem Ergehen des entsprechenden Verwaltungsakts ermöglichte.[1]

Durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts[2] wurde Abs. 1a eingefügt, der einen Teilverzicht auf einen Einspruch im Hinblick auf Besteuerungsgrundlagen ermöglicht, die im Rahmen eines Verständigungs- und Schiedsgerichtsverfahren nach einem DBA oder anderen zwischenstaatlichen Verträgen von Bedeutung sein können und damit Verzögerungen bei der Einleitung und Durchführung solcher zwischenstaatlichen Verfahren vermeiden soll.[3]

Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur einkommensteuerlichen Entlastung von Grenzpendlern und anderen beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen und zur Änderung anderer gesetzlicher Vorschriften[4] mit Wirkung ab 1.1.1996 redaktionell an die Abschaffung der Beschwerde als außergerichtlichem Rechtsbehelf angepasst.

Durch das Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer[5] wurde Abs. 1b eingefügt. Danach kann auf die Einlegung eines Einspruchs bereits vor Erlass des Verwaltungsakts verzichtet werden, soweit durch den Verwaltungsakt eine Verständigungsvereinbarung oder ein Schiedsspruch nach einem Vertrag i. S. des § 2 AO zutreffend umgesetzt wird. Die Vorschrift flanki...

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