Rz. 3

§ 739 ZPO (Gewahrsamsvermutung bei Zwangsvollstreckung gegen Ehegatten und Lebenspartner)

(1) Wird zugunsten der Gläubiger eines Ehegatten gem. § 1362 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vermutet, dass der Schuldner Eigentümer beweglicher Sachen ist, so gilt, unbeschadet der Rechte Dritter, für die Durchführung der Zwangsvollstreckung nur der Schuldner als Gewahrsamsinhaber und Besitzer.

(2) Abs. 1 gilt entsprechend für die Vermutung des § 8 Abs. 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes zugunsten der Gläubiger eines der eingetragenen Lebenspartner.

Nach § 739 ZPO gilt – unbeschadet der Rechte Dritter – für die Durchführung der Zwangsvollstreckung gegen Ehegatten ausschließlich der Vollstreckungsschuldner als Gewahrsamsinhaber und Besitzer, wenn die Eigentumsvermutung des § 1362 BGB greift. Die Vorschrift gilt daher auch nur soweit, wie die Vermutung des § 1362 BGB reicht. Gem. § 1362 Abs. 1 BGB wird zugunsten der Gläubiger jedes der Ehegatten vermutet, dass die im Besitz eines Ehegatten oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen, Inhaberpapiere und mit Blankoindossament versehenen Orderpapiere dem Schuldner gehören.[1]

 

Rz. 4

Diese Vermutung gilt allerdings nicht im Fall des Getrenntlebens der Ehegatten, wenn sich die Sachen oder Papiere im Besitz des Ehegatten befinden, der nicht Schuldner ist.[2] Die Gewahrsamsvermutung gilt gem. § 739 Abs. 2 ZPO entsprechend auch zugunsten der Gläubiger eines Partners einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.[3] § 739 ZPO setzt aber im Übrigen voraus, dass im Zeitpunkt der Vollstreckung eine gültige Ehe besteht, sodass eine entsprechende Anwendung auf nichteheliche Lebensgemeinschaften, nicht eingetragene Lebensgemeinschaften oder Haushaltsgemeinschaften nicht möglich ist.[4]

 

Rz. 5

Die Regelung des § 739 ZPO gilt für alle Güterstände.[5] Bei der Gütergemeinschaft beschränkt sich ihre Anwendbarkeit jedoch auf das Sonder- und Vorbehaltsgut,[6] da § 263 AO für das Gesamtgut die §§ 740, 741 und 743 ZPO für anwendbar erklärt.

 

Rz. 6

Nach § 1362 Abs. 2 BGB gilt die Vermutung nicht für die ausschließlich zum persönlichen Gebrauch eines Ehegatten bestimmten Sachen. Bei ihnen wird im Verhältnis der Ehegatten zueinander und zu den Gläubigern vermutet, dass sie demjenigen Ehegatten gehören, für dessen Gebrauch sie bestimmt sind. Kleidung, Schmuck, Arbeitsgeräte und ähnliche Sachen sind regelmäßig zum Gebrauch nur eines der Ehegatten bestimmt.[7] Die Beweislast für die persönliche Gebrauchsbestimmung trifft den Ehegatten, der das Eigentum an dem Gegenstand für sich in Anspruch nimmt.[8] Die Eigentumsvermutung des § 1362 BGB – und somit auch die Gewahrsamsvermutung des § 739 ZPO – gilt ausweislich des eindeutigen Wortlauts ausschließlich hinsichtlich des Besitzes an beweglichen Sachen. Die Vermutung entfaltet somit ausschließlich für die Sachpfändung eine Bedeutung, während sie für die Pfändung von Forderungen und anderen Vermögensrechten oder der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen ohne Bedeutung bleibt.[9]

 

Rz. 7

Die Vermutung des § 739 ZPO ist unwiderlegbar.[10] Das bedeutet, dass der von der Vollstreckung überzogene Ehegatte als Gewahrsamsinhaber oder Besitzer angesehen wird und deswegen für die Vollstreckung kein Leistungsgebot und kein Duldungsgebot gegen den anderen Ehegatten erforderlich sind. Der andere Ehegatte braucht auch nicht zur Herausgabe bereit zu sein. Anders als die Vermutung des § 739 ZPO ist die Vermutung des § 1362 BGB widerlegbar.[11] Dies kann durch Beweis des davon abweichenden Eigentums des anderen Ehegatten z. B. aus vorehelichem Erwerb oder aus dem Erwerb für einen Gewerbebetrieb des anderen Ehegatten geschehen, der an einem anderen Ort als dem der Wohnung betrieben wird.[12] Im Fall der Widerlegung der Vermutung des § 1362 BGB durch den anderen Ehegatten entfällt zugleich die Gewahrsamsfiktion des § 739 ZPO.[13] Der andere Ehegatte kann sein Recht über eine Klage nach § 262 AO entsprechend § 771 ZPO (Drittwiderspruchsklage) geltend machen.[14]

[1] Holzner, in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, AO, 24. Aufl. 2023, § 263 AO Rz. 25f.
[3] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 263 AO Rz. 14; Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 263 Rz. 2, 5.
[4] Klein/Werth, AO, 16. Aufl. 2022, § 263 Rz. 3.; BGH v. 14.12.2006, IX ZR 92/05, BGHZ 170, 187, Haufe-Index HIHI1681136; a. A. Niedersächsisches FG v. 19.1.1990, XIII (XI) 540/86, EFG 1991, 366.
[5] § 1363 BGB (Zugewinngemeinschaft), § 1414 BGB (Gütertrennung), §§ 1415ff. BGB (Gütergemeinschaft).
[6] §§ 1417, 1418 BGB; Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 263 Rz. 5.
[7] § 1477 Abs. 2 BGB; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 263 AO Rz. 3.
[8] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 263 AO Rz. 13; Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 263 Rz. 6.
[9] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 263 AO Rz. 12; Klein/Werth, AO, 16. Aufl. 2022, § 263 AO Rz. 3.
[10] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 263 AO Rz. 2a; Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 263 AO Rz. 15.
[11] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 263 AO Rz. 15; Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021,...

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