1 Allgemeines

1.1 Systematische Stellung

 

Rz. 1

§ 170 AO schließt an § 169 AO an. Während § 169 AO die Länge der Festsetzungsfrist definiert, bestimmt § 170 AO, wann der Lauf der Festsetzungsfrist beginnt. Die Vorschrift zerfällt in zwei Teile. Während § 170 Abs. 1 AO den regelmäßigen Beginn der Festsetzungsfrist regelt, enthalten die Abs. 2–7 verschiedene Tatbestände der Anlaufhemmung. Darüber hinaus bestimmt § 171 AO in bestimmten Fällen eine Ablaufhemmung. Anlaufhemmung und Ablaufhemmung können bei Erfüllung der jeweiligen Tatbestände bei demselben Steuerfall zusammentreffen und damit die Festsetzungsfrist erheblich ausdehnen.

1.2 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1a

Die Vorschrift wurde durch die AO 1977[1] eingeführt. Danach wurde die Vorschrift folgendermaßen geändert:

  • Durch Gesetz v. 21.12.1993[2] wurden in Abs. 2 Nr. 1 S. 1 die Worte "auf Grund gesetzlicher Vorschriften" gestrichen (vgl. Rz. 12). Abs. 3 wurde auf Berichtigungen nach § 129 AO erweitert (vgl. Rz. 56). Abs. 4 wurde neu gefasst und auf jeden Fall des Hinausschiebens der Festsetzungsfrist ausgedehnt (vgl. Rz. 58).
  • Durch Gesetz v. 22.12.1999[3] wurde in Abs. 2 S. 2 die Stromsteuer aus der Regelung ausgeklammert (vgl. Rz. 7).
  • Durch Gesetz v. 20.12.2001[4] wurde die Regelung des Abs. 2 S. 2 auf Verbrauchsteuern beschränkt (vgl. Rz. 7).
  • Durch Gesetz v. 8.12.2010[5] wurde auch die Energiesteuer auf Erdgas aus der Regelung ausgeklammert (vgl. Rz. 7).
  • Durch Gesetz v. 22.12.2014[6] wurde die bisher für die Wechselsteuer geltende Regelung in Abs. 6 gestrichen und in dem neuen Abs. 6 eine Anlaufhemmung für bestimmte ausländische Kapitalerträge eingeführt (vgl. Rz. 75ff.).
  • Durch Gesetz v. 23.6.2017[7] wurde ein neuer Abs. 7 eingefügt und damit eine besondere Anlaufhemmung bei Geschäftsbeziehungen zu Drittstaats-Gesellschaften geschaffen (vgl. Rz. 87ff.).
[1] G. v. 16.3.1976, BStBl I 1976, 157.
[2] BStBl I 1994, 50.
[3] BStBl I 2000, 13.
[4] BStBl I 2002, 4.
[5] BStBl I 2010, 1394.
[6] BStBl I 2015, 55.
[7] BStBl I 2017, 865.

2 Regelmäßiger Beginn der Festsetzungsfrist, Abs. 1

 

Rz. 2

Die Festsetzungsfrist beginnt regelmäßig mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden oder nach § 50 Abs. 3 AO unbedingt geworden ist. Maßgebend ist, wann der Steueranspruch nach § 38 AO nach den Einzelsteuergesetzen entstanden ist, die Fälligkeit ist unbeachtlich. Der Beginn der Festsetzungsfrist am Ende des Kalenderjahrs gilt für alle Steuern, unabhängig davon, ob sie im Lauf des Kalenderjahrs entstehen (einmalige Steuern wie GrESt oder ErbSt) oder an seinem Ende bei laufend veranlagten Steuern wie ESt, KSt, GewSt oder USt.[1] Dies gilt auch für die KfzSt, die am Anfang des Entrichtungszeitraums entsteht.

Bei Anwendung der §§ 7ff. AStG entstand die Steuer nach § 10 Abs. 2 S. 1 AStG a. F. nicht für das Jahr, in dem die Zwischengesellschaft die Einkünfte erzielt hat, sondern für das Jahr, für das die Einkünfte dem Gesellschafter zugerechnet werden. Dieses letztere Jahr war daher für den Beginn der Festsetzungsfrist maßgebend.[2] Nach der ab 2022 geltenden Neuregelung der §§ 7ff. AStG entsteht die Steuer nach § 10 Abs. 2 S. 1 AStG bei dem Gesellschafter zum Ende des maßgebenden Wirtschaftsjahres der Zwischengesellschaft und damit ein Jahr früher, als nach bisherigem Recht. Die Festsetzungsfrist beginnt daher ebenfalls ein Jahr früher.

Die Regelung, dass die Festsetzungsfrist immer mit Ablauf eines Kalenderjahrs beginnt, bedeutet gleichzeitig, dass die Festsetzungsfrist auch am Ende des Kalenderjahrs abläuft, wenn keine Ablaufhemmung eintritt (Kalenderverjährung).

 

Rz. 2a

Diese Regelung ist nach § 155 Abs. 3 AO auf Steuervergütungen entsprechend anzuwenden. Bei einer bedingt entstandenen Steuer[3] beginnt der Lauf der Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer unbedingt geworden ist. Nach Art. 103 Abs. 1 ZK beginnt bei Einfuhr- und Ausfuhrabgaben die Verjährung nach Ablauf mit dem Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld. Es gilt also keine Kalenderverjährung. Zur Anwendung der §§ 169ff. AO, und damit auch des § 170 AO, auf Zölle und Verbrauchsteuern vgl. Frotscher, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 169 AO Rz. 5f.

 

Rz. 3

Zum Beginn der Festsetzungsfrist für Zinsen enthält § 239 AO eine Sonderregelung.[4] Diese Vorschrift enthält für die einzelnen Zinsarten unterschiedliche Anlaufhemmungen. Für die Verzinsung von Steuernachforderungen, § 233a AO, besteht eine Anlaufhemmung, solange die Steuerfestsetzung noch ergehen, aufgehoben, geändert oder berichtigt werden kann. Diese Anlaufhemmung bezieht sich bei wiederholten Änderungen der Steuerfestsetzung auf den gesamten endgültig entstandenen Zinsbetrag; eine Teilverjährung für Steuernachforderungen, die durch die Änderungen nicht betroffen sind, tritt nicht ein.[5]

 

Rz. 4

Der Beginn des Laufs der Festsetzungsfrist ist an das Entstehen der Steuer geknüpft. Damit ist das steuerrechtliche Entstehen gemeint. Die Steuer entsteht steuerrechtlich für jeden einzelnen Vz; die Festsetzungsfrist beginnt also mit Ende dieses Vz. Die strafrechtliche Figur des Fortsetzungszusammenhangs (fortgesetzte Handlung), durch die mehrere Einzelstraftaten infolge ...

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