Rz. 72

§ 90 Abs. 3 S. 11 AO enthält zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung eine Verordnungsermächtigung. Von dieser hat das BMF mit Zustimmung des Bundesrats durch die Verordnung zu Art, Inhalt und Umfang von Aufzeichnungen i. S. d. § 90 Abs. 3 der AO[1] umfangreich Gebrauch gemacht.[2] Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl I 2007, 1912 wurde die GAufzV erstmals ergänzt bzw. geändert. Die GAufzV verwendet zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, weshalb im Ergebnis viele der durch den Gesetzestext aufgeworfenen Fragen unbeantwortet bleiben. Auch die Neufassung der GAufzV durch das BEPS I-Gesetz hat keine Abhilfe geschaffen.[3] Der Stpfl. kann sich also auch nach Lektüre der GAufzV nicht sicher sein, ob er seine Dokumentationspflichten hinreichend erfüllt hat. Es liegt auf der Hand, dass hierin erhebliches Streitpotenzial steckt. Aus diesem Grund wird für die Erstellung der Verrechnungspreisdokumentation zu Recht ein Vertrauensvorschuss im Sinne einer Richtigkeitsvermutung eingefordert, die die Steuerverwaltung zu widerlegen hat, will sie von der Dokumentation abweichende Besteuerungsgrundlagen zugrunde legen.[4]

In der Besteuerungspraxis scheint jedoch das Streitpotenzial im Regelfall gütlich beigelegt werden zu können, so dass es nur wenige Urteile gibt, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen.[5] Dies spricht dafür, dass das Ziel des Gesetzgebers bei der Normierung des § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV, Ausmaß und Ort der Besteuerung stärker an die tatsächliche wirtschaftliche Substanz zu knüpfen[6], auch tatsächlich und im Einvernehmen mit dem Unternehmen erreicht wird.

 

Rz. 73

Als Reaktion auf den Erlass der GAufzV a. F. hat der BMF v. 12.4.2005, IV B 4 – S 1341 – 1/05, BStBl I 2005, 570 seine Sicht der Dinge in den Grundsätzen für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahe stehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren) ausführlich dargelegt und den Versuch unternommen, die in der GAufzV verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe zu konkretisieren. Dies ist allerdings nur punktuell gelungen.[7] Die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren werfen vielmehr weitere Zweifelsfragen auf und nehmen überdies wesentliche – teilweise eine gesetzliche Grundlage entbehrende – Verschiebungen zulasten der Stpfl. vor.[8] Dennoch enthalten die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren einige Anhaltspunkte und Interpretationshilfen, durch deren Beachtung die Gefahr einer Sanktionierung jedenfalls erheblich reduziert werden kann. Sie besitzen insofern für die Praxis trotz aller Unzulänglichkeiten überragende Bedeutung.[9]

[2] Zu Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der GAufzV vgl. Roser, in Gosch, AO/FGO, § 90 AO Rz. 95ff.; Dawid/Ruhmer-Krell/ Steinhoff/Sommer, ISR 2017, 318; a.  A. zutreffend Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 90 AO Rz. 190b.
[3] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 49; Kaminski/Strunk, StBp 2004, 1.
[4] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 49.
[5] Vgl. Wilke, IWB 2018, 557.
[6] BT Drs. 18/9536.
[7] Vgl. hierzu auch das Glossar "Verrechnungspreise", BMF v. 19.5.2014, IV B 5 – S 1341/07/10006-01, BStBl I 2014, 838, welches zu einer Vereinheitlichung der Terminologie im Bereich der Verrechnungspreise beitragen soll.
[8] Roser, in Gosch, AO/FGO, § 90 AO Rz. 72; Finsterwalder, DStR 2005, 765; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549; Lenz/Fischer/Schmidt, BB 2005, 1255; Krüger/Lamm, StB 2005, 249; Eigelshoven/Nientimp, DB 2005, 1184; Wehnert u. a., IStR 2005, 749.
[9] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 51; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 90 AO Rz. 190d.

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