1.2.1 Aussetzungsbefugnis (§ 361 Abs. 2 S. 1 AO)

 

Rz. 6

Die AdV kann sowohl durch die Finanzbehörde nach § 361 AO, § 69 Abs. 2 FGO als auch durch das FG bzw. den BFH nach § 69 Abs. 3 und 5 FGO ausgesprochen werden. Die materiellen Voraussetzungen der AdV sind in beiden Fällen identisch. Dies gilt trotz des Formulierungsunterschieds auch, soweit für die AdV-Entscheidung Art. 45 UKZ (s. Rz. 2a) anzuwenden ist.[1]

 

Rz. 6a

Da § 361 AO und § 69 FGO in weiten Teilen Parallelen aufweisen, bietet es sich in der Praxis an, auch zu Fragen im Zusammenhang mit § 361 AO die Rechtsprechung und Kommentarliteratur zu § 69 FGO heranzuziehen.[2]

 

Rz. 7

Die Finanzbehörde kann nach der Einlegung des Einspruchs (s. Rz. 62) die AdV von Amts wegen gewähren, wenn ein Aussetzungsgrund (s. Rz. 75) vorliegt. Dies gilt auch für die Aufhebung d. V. (s. Rz. 29). Von dieser Möglichkeit ist insbesondere Gebrauch zu machen, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich begründet ist, der Abhilfebescheid jedoch nicht mehr vor Fälligkeit der geforderten Steuer ergehen kann.[3]

Auf Antrag (s. Rz. 55) muss die Finanzbehörde eine Entscheidung treffen. Die Zuständigkeit der Finanzbehörde besteht auch, wenn das Klageverfahren anhängig ist. Unerheblich ist hierbei dessen Stadium.

 

Rz. 8

Das FG bzw. der BFH können demgegenüber nach § 69 Abs. 3 S. 1 FGO die AdV nur auf Antrag gewähren.[4] Nach § 69 Abs. 3 S. 2 FGO ist der AdV-Antrag an das FG schon vor Erhebung der Klage zulässig, allerdings erst nach Einlegung des Einspruchs.[5]

[2] Dißars, in Zugmaier/Nöcker/Dißars, AO, § 361 AO Rz. 3.
[3] AEAO zu § 361 Nr. 2.1; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 361 AO Rz. 3.
[4] Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 69 Rz. 211.
[5] S. Rz. 62; Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 69 Rz. 136.

1.2.2 Wahlrecht

 

Rz. 9

Der Antragsteller hat hinsichtlich des Rechtsschutzwegs für den AdV-Antrag (s. Rz. 7) grundsätzlich das Wahlrecht, welchen Verfahrensweg er beschreiten will.[1] Allerdings ist dieses durch die besondere Zugangsvoraussetzung nach § 69 Abs. 4 S. 1 FGO faktisch eingeschränkt, um zu verhindern, dass die Gerichte ohne Notwendigkeit mit Aussetzungsanträgen in Anspruch genommen werden. Im Ergebnis wird der AdV durch die Finanzbehörde eine Vorrangstellung eingeräumt. Das finanzbehördliche AdV-Verfahren ist aber kein Vorverfahren i. S. v. § 44 FGO.[2] Das Nebeneinander beider Rechtsschutzmöglichkeiten bleibt grundsätzlich erhalten. Es kann auch dann das finanzbehördliche AdV-Verfahren gewählt werden, wenn trotz der Einschränkung durch § 69 Abs. 4 FGO ein gerichtlicher Aussetzungsantrag (z. B. bei drohender Vollstreckung; s. Rz. 16) zulässig wäre.[3] Die Zulässigkeit des gerichtlichen AdV-Antrags bleibt auch erhalten, wenn der Antragsteller gegen die finanzbehördliche AdV-Entscheidung Einspruch (s. Rz. 109) eingelegt hat.[4]

[1] Koenig/Cöster, AO, 4. Aufl. 2021, § 361 Rz. 156.
[2] FG Baden-Württemberg v. 26.2.1990, II V 31/89, EFG 1990, 438 m. w. N.
[3] FG Düsseldorf v. 23.12.1980, XI 280/80 A, EFG 1981, 190.
[4] Koenig/Cöster, AO, 4. Aufl. 2021, § 361 Rz. 156; BFH v. 10.10.1985, IV B 30/85, BStBl II 1986, 68.

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