Rz. 25

Nach § 357 Abs. 1 S. 3 AO schadet die unrichtige Bezeichnung des Einspruchs nicht. Hieraus ergibt sich, dass an den Vortrag des Stpfl. keine besonders hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Insbesondere von ihm nicht erwartet wird, dass er seinen Einspruch ausdrücklich als solchen bezeichnet. Auch wenn er seinen schriftlichen oder elektronischen oder – im Falle der Erklärung zur Niederschrift – mündlichen Vortrag als "Widerspruch", "Beschwerde", "Rechtsbehelf", "Remonstration" oder gar nicht benennt, steht dies der Wirksamkeit des Einspruchs nicht entgegen.

 

Rz. 26

Es muss sich aus der Erklärung des Stpfl. allerdings ergeben, dass er tatsächlich ein Einspruchsverfahren in Gang setzen möchte. Unabhängig von der Bezeichnung seines Vorbringens muss er mit dieser erkennbar zum Ausdruck bringen, dass er sich nach § 350 AO durch einen Verwaltungsakt (oder im Falle eines Untätigkeitseinspruchs nach § 347 Abs. 1 S. 2 AO durch dessen Unterlassen) beschwert fühlt und diesen von der Finanzbehörde förmlich überprüft haben möchte.[1]

 

Rz. 27

Geht dieses Begehren aus dem Vorbringen des Stpfl. nicht klar und eindeutig hervor, ist der tatsächliche Wille des Stpfl. im Wege der rechtsschutzgewährenden Auslegung zu ermitteln (s.Rz. 18). Es muss dabei festgestellt werden, ob es sich bei dem Vortrag des Stpfl. um einen Einspruch oder um einen schlichten Änderungsantrag, einen informellen Rechtsbehelf oder schlicht um eine informatorische Nachfrage handelt.

 

Rz. 28

Bei auslegungsfähigen Erklärungen ist grundsätzlich davon auszugehen, der Stpfl. habe dasjenige Vorgehen wählen wollen, das seinem materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft.[2] Lässt die Äußerung eines Stpfl. ungewiss, ob er einen Einspruch einlegen will, so ist im Allgemeinen die Erklärung als Einspruch zu betrachten, da dieser die Rechte des Stpfl. umfassender wahrt als beispielweise ein informeller Rechtsbehelf oder ein Antrag auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO.[3] Nur mit einem Einspruch kann der Eintritt der Bestandskraft aufgehalten, eine umfassende Prüfung des Verwaltungsakts erreicht und eine Aussetzung der Vollziehung ermöglicht werden. Der einzig nachteiligen Folge des Einspruchs, der Verböserung, also der – nach § 367 Abs. 2 S. 2 AO vorher anzukündigenden – Änderung des Verwaltungsakts zulasten des Stpfl., kann dieser durch rechtzeitige Rücknahme seines Einspruchs entgehen.[4]

Eine Kostenfolge, die noch unter der Geltung der RAO mit der Einlegung eines Einspruchs verbunden war und daher bei der Auslegung der Erklärung des Stpfl. Berücksichtigung finden musste[5], steht nunmehr wegen der Kostenfreiheit des Einspruchsverfahrens einer weitgehenden Einordnung der Erklärung als Einspruch dagegen nicht mehr entgegen.

 

Rz. 29

So kann u. U. auch die bloße Ankündigung eines Einspruchs bereits als Einlegung eines Einspruchs zu bewerten sein, wenn mit der Erklärung des Stpfl. eine Beschwer geltend gemacht wird und die Nachprüfung eines Verwaltungsakts begehrt wird.[6] Die nachträgliche Abgabe von Steuererklärungen ohne weitere Erläuterungen ist im Zweifel als Einspruch gegen einen zuvor ergangenen Schätzungsbescheid anzusehen.[7] Das gilt im Hinblick auf die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollziehung auch dann, wenn der Schätzungsbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht und deshalb vor wie nach Eintritt der Unanfechtbarkeit ohne Weiteres geändert werden könnte.[8] Auch die bloße Einreichung von Unterlagen innerhalb der Einspruchsfrist ist als Einlegung eines Einspruchs zu verstehen, wenn offensichtlich ist, dass der Stpfl. diese steuerlich berücksichtigt wissen möchte.

 

Rz. 30

Wird andererseits der Wille zur Anfechtung und förmlichen Überprüfung des Verwaltungsakts nicht hinreichend deutlich, so handelt es sich allenfalls um eine Erklärung im allgemeinen Besteuerungsverfahren. In einem solchen Fall darf die Finanzbehörde nicht gestaltend in das verfahrensrechtliche Geschehen eingreifen und die Einlegung eines Einspruchs zur Verbesserung der Rechtsposition des Stpfl. unterstellen.[9] Denn auch wenn eine "erfolgsorientierte Auslegung" von Erklärungen zugunsten des Stpfl. nicht verboten ist[10], darf das bewusst Gewollte nicht durch eine Umdeutung "umgebogen" werden.[11]

So ist z. B. die bloße Zahlung der Steuer unter Vorbehalt nicht als Einspruch zu bewerten.[12] Lässt sich der Stpfl. nur über das Verhalten eines Finanzbeamten aus, ohne einen bestimmten Verwaltungsakt zu beanstanden, wird man ebenfalls keinen Einspruch, sondern allenfalls eine Dienstaufsichtsbeschwerde annehmen können.

Speichert der Stpfl. seinen online, z. B. mit ELSTER oder Datev gefertigten Einspruch nur auf der Plattform ab, ohne ihn – mittels Anklicken der entsprechenden Schaltfläche – abzusenden, fehlt es schon deshalb an der Erkennbarkeit des Einspruchsbegehrens, weil das FA gar keine Kenntnis von dem Einspruch erlangt.[13]

 

Rz. 31

Von einem Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe, insbesondere von Rechtsanwälten und Steuerberatern, wird ver...

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