Rz. 17

Wird eine Außenprüfung trotz fehlerhafter oder fehlender Prüfungsanordnung durchgeführt (z. B. Ausdehnung der Prüfung auf eine Steuerart/einen Besteuerungszeitraum, die/der nicht von der Prüfungsanordnung erfasst ist), stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse dieser Außenprüfung für die Besteuerung verwendet werden dürfen (Verwertungsverbot).

Hinzuweisen ist darauf, dass im Fall einer fehlenden Außenprüfungsanordnung diejenigen Rechtswirkungen nicht eintreten, die an Bestehen und Umfang einer Außenprüfungsanordnung anknüpfen. So tritt in diesen Fällen die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO nicht ein; maßgebend ist vielmehr der Zeitpunkt des Erlasses etwaiger Änderungsbescheide. Selbst wenn kein Verwertungsverbot besteht, kann daher die Verwertung wegen zwischenzeitlichen Ablaufs der Festsetzungsfrist rechtlich unmöglich werden.

 

Rz. 17a

Für die Frage, ob rechtswidrig ermittelte Tatsachen einem Verwertungsverbot unterliegen, ist zu unterscheiden zwischen einem "materiellen" und einem "formellen" Verwertungsverbot.

Ein materielles (qualifiziertes) Verwertungsverbot liegt vor, wenn die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Stpfl. verletzt. Dies betrifft in erster Linie Kenntnisse, die durch die in § 136a StPO verbotenen Methoden erlangt werden, aber z. B. auch eindeutige Verletzungen von Grundrechten (z. B. Bruch des Postgeheimnisses; Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung; unzulässiger Eingriff in die Intimsphäre). Folge eines solchen qualifizierten Verwertungsverbots ist, dass die ermittelten Tatsachen schlechthin und ohne Ausnahme unverwertbar sind; der Verstoß kann auch nicht durch zulässige Ermittlungsmaßnahmen geheilt werden.[1]

Handelt es sich dagegen nur um formelle Verstöße gegen Verfahrensvorschriften (wie dies im Steuerrecht die Regel sein wird), handelt es sich nur um ein "einfaches" Verwertungsverbot.

 

Rz. 17b

Die Frage eines Verwertungsverbots kann sich nur stellen, wenn für die Ermittlungen des FA überhaupt eine Prüfungsanordnung erforderlich war. Das ist im Rahmen einer erstmaligen Steuerfestsetzung nicht der Fall. Die Finanzbehörde ist grundsätzlich zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet.[2] Sie kann diese Ermittlungen zeitlich in eine der Steuerfestsetzung nachfolgende Außenprüfung verschieben, für die dann eine Prüfungsanordnung erforderlich ist; sie kann diese Ermittlungen aber auch bei der Steuerfestsetzung durchführen und sich dabei auf §§ 93ff. AO stützen. Für solche Ermittlungen ist keine Prüfungsanordnung erforderlich, allerdings kann die Finanzbehörde dann auch nicht von den erweiterten Rechten nach § 200 AO Gebrauch machen. Im Rahmen dieser Ermittlungen kann die Finanzbehörde auch Ermittlungshandlungen im Betrieb des Stpfl. vornehmen[3], ohne dass die Ermittlung dadurch zu einer Außenprüfung i. S. d. § 193 AO wird. Ermittlungshandlungen bei der erstmaligen Steuerfestsetzung bedürfen daher keiner Prüfungsanordnung; eine fehlende oder fehlerhafte Prüfungsanordnung bei der erstmaligen Steuerfestsetzung führt daher nicht zu einem Verwertungsverbot.[4] Dies wird auch auf die Überprüfung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung, § 164 AO, ausgedehnt, weil diese einer erstmaligen Steuerfestsetzung gleichstehe.[5]

Dieser Rspr. ist zuzustimmen, soweit tatsächlich keine Außenprüfung vorliegt, sondern Einzelermittlungshandlungen vorgenommen werden.[6] In diesem Fall tritt die umfassende Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO nicht ein. Die Ergebnisse der Ermittlungshandlungen können nur ausgewertet werden, wenn dies vor Ablauf der Festsetzungsfrist geschieht. Der Stpfl. muss, wenn er ein Verwertungsverbot erreichen will, die in den Ermittlungshandlungen liegenden Verwaltungsakte anfechten.[7]

In diesen Fällen kann sich ohne entsprechende Anfechtung ein Verwertungsverbot nur in den Fällen ergeben, in denen ein absolutes Verwertungsverbot besteht; vgl. Rz. 17a.

 

Rz. 18

Das Bestehen bzw. die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung tangiert nicht den verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Stpfl.; das Fehlen bzw. die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung kann daher nicht zu einem "qualifizierten" Verwertungsverbot führen, sondern allenfalls zu einem einfachen Verwertungsverbot. Die Prüfungsanordnung gehört (lediglich) zu den Vorschriften, die ein ordnungsgemäßes und gerechtes Verfahren sicherstellen sollen, nicht zu den Vorschriften, die auf den unsere Rechtsordnung tragenden Prinzipien beruhen.[8] Das somit bestehende "einfache" Verwertungsverbot bedeutet, dass das Verwertungsverbot abhängig ist vom Verhalten des Stpfl.[9] Der Stpfl. kann entscheiden, ob er den Rechtsverstoß hinnimmt oder sich hiergegen wehrt.[10] Im Einzelnen bedeutet dies:

  • Ist die Prüfungsanordnung fehlerhaft (rechtswidrig), trifft den Stpfl. die Obliegenheit, sie anzufechten. Diese Anfechtung kann innerhalb der Rechtsbehelfsfrist, bei Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung innerhalb der Jahresfrist des § 356 Abs. 2 AO erfolgen[11]; BFH v. 7...

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