Rz. 36

Bei der sachlichen Unbilligkeit ist die Unbilligkeit in der zu entscheidenden Sache selbst begründet und daher unabhängig von den persönlichen Verhältnissen des Stpfl. Sie liegt vor, wenn das Ergebnis der Anwendung der gesetzlichen Vorschrift, unter Benutzung der üblichen Auslegungsmethoden, die Besonderheiten des Einzelfalls entgegen der Absichten des Gesetzgebers nicht angemessen berücksichtigt. Die Unbilligkeit liegt dann in der planwidrig nicht sachgemäßen Entscheidung des Einzelfalles durch das Gesetz, nicht in den persönlichen Verhältnissen des Stpfl. begründet. Die Gründe für eine solche nicht sachgemäße Entscheidung des Einzelfalles durch das Gesetz können vielfältig sein. Alle diese Fälle lassen sich aber darauf zurückführen, dass die gesetzliche Regelung im Einzelfall deshalb unbillig wirkt, weil der durch Auslegung des Wortlauts ermittelte Geltungsbereich des Gesetzes und der Inhalt der Regelung einen Sachverhalt erfassen, den sie nach den Wertungen des Gesetzes nicht hätten erfassen dürfen bzw. in einer nicht sachgerechten Weise erfassen. Diese unsachgemäße Ausdehnung des Wirkungsbereichs eines Gesetzes kann z. B. darauf beruhen, dass der gesetzliche Tatbestand störende Unabgestimmtheiten enthält oder in seiner Formulierung nicht exakt genug gefasst werden konnte, sodass er Einzelfälle erfasst, für die er jedoch nicht gedacht war. Eine sachliche Unbilligkeit liegt dabei vor, wenn angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber bei dem Erlass des Gesetzes die beanstandeten Wirkungen im Einzelfall nicht gesehen hat und, wenn er sie gesehen hätte, nach seinem erklärten oder mutmaßlichen Willen i. S. d. beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte.[1]

 

Rz. 37

Keine sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die Steuerbelastung nicht ausschließlich auf eine Entscheidung des Gesetzgebers zurückzuführen ist, sondern im Wesentlichen auf eine Initiative des Stpfl., und dieser die steuerlichen Folgen seines Handelns kannte oder kennen musste. Das ist etwa der Fall, wenn ein Gewinn aus dem Erlass von Forderungen entsteht und der Stpfl. seine Gläubiger zum Verzicht auf ihre Forderungen veranlasst hat.[2] Bei einer steuerlichen Falschberatung liegt sachliche Unbilligkeit nicht allein deshalb vor, weil der steuerliche Berater nicht in Haftung genommen werden kann.[3]

 

Rz. 37a

Sachliche Unbilligkeit kann sich auch nur aus der Belastung mit deutscher Steuer ergeben. Belastung mit ausländischer Steuer ist nicht zu berücksichtigen, auch wenn sie auf dem gleichen Sachverhalt beruht. Daher führt eine Doppelbesteuerung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht zu einer sachlichen Unbilligkeit, wenn die Belastung mit der deutschen Steuer, für sich allein betrachtet, nicht sachlich unbillig ist.[4]

 

Rz. 38

Da bei der sachlichen Unbilligkeit die Unbilligkeit der steuerlichen Belastung in der Sache begründet liegt, nicht in den persönlichen Umständen des Stpfl., sind Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit für die Billigkeitsmaßnahme nicht von Bedeutung. Die sachliche Billigkeitsmaßnahme kann daher auch dann ergriffen werden, wenn der Stpfl. rechtswidrig gehandelt hat, also für persönliche Billigkeitsmaßnahmen erlassunwürdig wäre.[5]

 

Rz. 39

Eine Billigkeitsmaßnahme wegen sachlicher Unbilligkeit kommt in Betracht, wenn der gesetzliche Tatbestand erfüllt ist, das Ergebnis aber den gesetzlichen Wertungen zuwiderläuft[6], ohne dass dies durch teleologische Auslegung bei der Gesetzesanwendung[7] beseitigt werden kann. Es muss also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestands über die Wertung des Gesetzgebers vorliegen.[8] Liegt ein solcher Fall vor, ist ein angemessenes Ergebnis im Weg der abweichenden Steuerfestsetzung, § 163 AO, oder des Erlasses, § 227 AO, herzustellen, und zwar ein solches Ergebnis, das der Gesetzgeber durch eine entsprechende gesetzliche Regelung herbeigeführt hätte, wenn er dieses Problem gesehen und geregelt hätte.[9] Maßstab für diese gedachte gesetzliche Regelung des jeweiligen Problemkreises ist dabei die im Gesetz zum Ausdruck gekommene Wertentscheidung des Gesetzgebers, die erforderlichenfalls durch Auslegung zu ermitteln ist. Damit wird auch der Kritik Rechnung getragen, die an den Formulierungen der Rspr. geübt wird[10], dass an den mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angeknüpft werden müsse. Dieser mutmaßliche Wille des Gesetzgebers ist die im Gesetz zum Ausdruck gekommene Wertentscheidung und daher ein objektiver, durch Auslegung konkretisierbarer Maßstab. Es handelt sich daher nicht um einen subjektiven Maßstab. Damit werden die mit einem subjektiven Verständnis des "mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers" verbundenen Schwierigkeiten vermieden.

 

Rz. 40

Ist das steuerliche Ergebnis, das aus der Subsumtion eines Sachverhalts unter einen steuergesetzlichen Tatbestand fließt, daraufhin zu überprüfen, ob es sachlich unbillig ist, ist zuerst festzustellen, ob dieses Ergebnis der Wertung des Gesetzgebers entspricht (Rz. 32). Ist dies nicht der Fall, kommt die Beseitigung der Folgen im Einzelfall du...

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