Rz. 31

Eine Billigkeitsmaßnahme kommt in Betracht, wenn die Erhebung der Steuer "nach der Lage des einzelnen Falles" i. S. d. § 163 Abs. 1 S. 1, § 227 AO unbillig wäre. Es ist daher immer auf den Einzelfall abzustellen; Billigkeit ist die Gerechtigkeit des Einzelfalls. Der Grundsatz der Billigkeit hat die Aufgabe, das bei der Anwendung der Steuergesetze zustande gekommene Ergebnis so den Besonderheiten des Einzelfalles anzupassen, dass der Gedanke der Gerechtigkeit im Einzelfall verwirklicht wird. Dies kann aus sachlichen Gründen (sachliche Unbilligkeit, vgl. Rz. 36) oder aus persönlichen Gründen (persönliche Unbilligkeit, vgl. Rz. 169) notwendig sein. Unbilligkeit kann in der Festsetzung der Steuer oder in ihrer Erhebung liegen. Entsprechend sind Billigkeitsmaßnahmen im Festsetzungsverfahren nach § 163 AO oder im Erhebungsverfahren nach § 227 AO möglich. Der Begriff der Unbilligkeit ist dabei in beiden Verfahrensabschnitten der Gleiche.[1]

 

Rz. 32

Da der Begriff der Billigkeit auf den Einzelfall abstellt, kommt eine Billigkeitsmaßnahme immer nur bei atypischen Einzelfällen in Betracht. Daher ist die Bildung eines subsumierbaren abstrakten Tatbestands nicht möglich. Es muss jeweils anhand eines Einzelfalles geprüft werden, ob das bei strenger Anwendung des Gesetzes erzielte Ergebnis den Besonderheiten dieses Einzelfalls gerecht wird. Das schließt es jedoch nicht aus, gleich gelagerte Fälle zu einer Gruppe zusammenzufassen, aber auch dann muss das durch das Gesetz vorgegebene Ergebnis "nach Lage des einzelnen Falles" unbillig sein. Auch in diesen Fällen muss daher Unbilligkeit in jedem einzelnen Fall vorliegen. Das schließt typisierende Regelungen aus.[2] Unbillig ist demnach eine sich aus dem Gesetz ergebende Rechtsfolge, die aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles ungerecht wirkt und damit das Ziel des Gesetzes, gerechte Ergebnisse zu erzielen, verfehlt. Dabei kann sich die Unbilligkeit nur aus den Belastungsentscheidungen des Steuergesetzgebers ergeben. Gründe außerhalb des Steuerrechts wie wirtschafts-, arbeits-, sozial- oder kulturpolitische Gründe können eine steuerrechtliche Unbilligkeit nicht begründen.[3]

 

Rz. 32a

Besonders ist es bei der Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme zu berücksichtigen, wenn die Maßnahme der Verwaltung in verfassungsrechtlich geschützte Rechte eingreift.[4] Eine Billigkeitsmaßnahme kann in einem solchen Fall ein sonst im Einzelfall verfassungswidriges Gesetz verfassungsrechtlich zulässig machen (vgl. Rz. 124).

 

Rz. 33

Es ist davon auszugehen, dass die Erhebung einer gesetzmäßig entstandenen Steuer grundsätzlich nicht unbillig ist. Der Gesetzgeber hat regelmäßig die Interessen der Stpfl. gegen die Interessen des Staates an der Erzielung der Steuereinnahmen abgewogen. Die Belastung des Stpfl. ist daher regelmäßig nicht unbillig. Die Unbilligkeit kann sich daher nur als Ausnahme ergeben. Härten, die im Gesetz selbst liegen und unabhängig von den Umständen des Einzelfalls bei jeder Tatbestandsverwirklichung eintreten, sind daher nicht unbillig und müssen in Kauf genommen werden.

 

Rz. 34

Die Frage, ob eine nur in einem Einzelfall eintretende Härte unbillig ist, muss danach beantwortet werden, ob unter Abwägung der schutzwürdigen Interessen des Steuerfiskus und des Stpfl. die bei strenger Anwendung des Gesetzes sich ergebenden Folgen nach allgemeiner Auffassung mit den Grundsätzen von Recht und Billigkeit vereinbar sind oder nicht.[5] Eine unbillige Härte für den Stpfl. liegt nicht schon dann vor, wenn er bei Ablehnung der Billigkeitsmaßnahme zwar eine wirtschaftliche Einbuße erleidet, ihm aber ausreichend andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, seinen Lebensunterhalt zu sichern. So ist die Gefahr, dass bei einem Insolvenzantrag gegen einen Steuerberater, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder anderen Freiberufler die Zulassung widerrufen wird, allein nicht ausreichend, eine unbillige Härte zu begründen. Diese Berufsausbildungen eröffnen dem Stpfl. ausreichende andere Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts auch außerhalb der zulassungsbedürftigen Berufe.[6]

 

Rz. 34a

Das Interesse des Steuerfiskus besteht in dem Eingang des Steueraufkommens, das des Stpfl. darin, dass die Steuererhebung mit seinen besonderen Verhältnissen in Einklang steht. Im Rahmen dieser Abwägung kann auch die Steuerart berücksichtigt werden, auf die sich die Billigkeitsmaßnahme beziehen soll. So kann etwa berücksichtigt werden, dass die einbehaltene LSt von dem Arbeitgeber in einer der Treuhänderschaft ähnlichen Form abgeführt werden muss[7] oder dass der Abnehmer die USt zusätzlich zu dem kalkulierten Preis zu zahlen hat, der Unternehmer bei richtiger Kalkulation zur Abführung an das FA also in der Lage sein muss. In diesen Fällen kann eine Billigkeitsmaßnahme daher nur unter besonderen Umständen in Betracht kommen.[8] Ebenso ist ein Erlass der GrESt aus sachlichen Billigkeitsgründen wohl aus Gründen möglich, die den Wert des Grundstückes mindern (z. B. Brandschaden), nicht jedoch deshalb, weil der Kä...

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