Rz. 11

Hieraus folgt, dass ein Rechtsfehler, auch ein möglicherweise eklatanter Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen, nie nach § 129 AO berichtigt werden kann.[1] Eine Berichtigung gem. § 129 AO ist bereits dann nicht möglich, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Rechtsfehler vorliegt.[2] Er muss nicht positiv festgestellt oder dargelegt werden. Vgl. auch Niedersächsisches FG v. 30.10.1978, IX 209/77, EFG 1979, 211; FG Düsseldorf v. 28.11.1985, VI/X 14/78 G, EFG 1986, 212, wo das FG aufgrund der tatsächlichen Umstände bei dem Ansatz einer falschen Veranlagungsart (Zusammenveranlagung statt getrennter Veranlagung) einen, wenn auch eklatanten, Rechtsfehler für möglich hielt; FG Saarland v. 25.6.1993, 1 K 255/92, EFG 1994, 230 für Rechtsfehler bei Behandlung einer abgekürzten Leibrente als allgemeine Leibrente. Die Unrichtigkeit darf also nicht in dem Erlass der sachlichen Entscheidung, sondern muss in der Wiedergabe der (sachlich richtigen) Entscheidung liegen. Bei Vorliegen eines Rechtsfehlers weichen Regelungsgehalt und Wortlaut des Verwaltungsakts nicht voneinander ab; der Verwaltungsakt ist rechtswidrig, nicht offenbar unrichtig. Außerdem ist bei der Lösung von Rechtsfragen i. d. R. ein Beurteilungsspielraum gegeben, sodass eine fehlerhafte Rechtsansicht nicht "offenkundig" falsch in dem oben definierten Sinn sein kann.[3]

 

Rz. 12

Für einen Rechtsfehler spricht, wenn der Steuerbescheid vor seiner Absendung in dem fraglichen Punkt (etwa infolge eines maschinellen Prüfhinweises) überprüft wurde, ohne dass die Unrichtigkeit korrigiert worden ist.[4] Ebenfalls für eine fehlerhafte Rechtsauffassung spricht, wenn handschriftliche Vermerke und Anmerkungen vom Finanzbeamten gemacht worden sind.[5] Umgekehrt spricht es für offenbare Unrichtigkeit, wenn Fehler des Stpfl. ohne Anhaltspunkte dafür, dass der Finanzbeamte eine rechtliche Würdigung vorgenommen hat, übernommen werden.[6] Keine Vermutung für einen Rechtsfehler besteht aber, wenn die Prüfung tatsächlich unterblieben ist.[7]

Regelmäßig wird ein Rechtsfehler bei Anwendung einer komplizierten Rechtsvorschrift möglich sein; dadurch wird die Anwendung des § 129 AO ausgeschlossen.[8] Gleiches gilt bei einer nicht einfachen, neu eingefügten Vorschrift. Zu weitgehend FG Nürnberg v. 27.2.1985, V 126/84, EFG 1985, 428, das bei Nichtanwendung des Progressionsvorbehalts einen Rechtsfehler ausschloss. Ebenso scheidet eine offensichtliche Unrichtigkeit aus, wenn sich der Sachverhalt erst nach einer Vertragsauslegung ergibt.[9]

Die Frage, ob ein Rechtsirrtum vorgelegen haben kann, ist vom Tatsachengericht in freier Beweiswürdigung aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.[10] Allein die Tatsache, dass der gleiche Fehler mehrfach vorgekommen ist, ist kein Indiz für das Vorliegen eines Rechtsfehlers.[11]

 

Rz. 13

Kein Rechtsirrtum, sondern eine offenbare Unrichtigkeit liegt vor, wenn bei einer umstrittenen Rechtsfrage die Entscheidung des FA unrichtig in den Bescheid übernommen wird.[12]

 

Rz. 14

Die Möglichkeit eines Rechtsirrtums muss auf im Einzelfall festgestellten Tatsachen beruhen[13]; die bloße theoretische Möglichkeit genügt nicht. So ist eine Berichtigung nach § 129 AO zulässig, wenn ein Stpfl. versehentlich nach der Splittingtabelle besteuert wird, obwohl bereits seit Jahren die Grundtabelle angewandt wurde und die maßgebenden Verhältnisse sich nicht geändert haben. Bei der Wahl der Tabelle sind zwar auch Rechtserwägungen anzustellen, sodass die Möglichkeit eines Rechtsirrtums grundsätzlich nicht völlig ausgeschlossen werden kann; bei dem genannten Sachverhalt war diese Möglichkeit aber nur theoretisch und nicht konkretisiert.[14] Zu Recht anders für die Anwendung der Splittingtabelle für das Jahr nach der Ehescheidung Schleswig-Holsteinisches FG v. 29.3.1983, V 34/82, EFG 1983, 587, da wegen der Möglichkeit eines "Gnadensplittings" und der häufigen Gesetzesänderung in diesem Bereich ein Rechtsfehler nicht auszuschließen sei; Entsprechendes gilt für das Jahr des Tods eines Ehegatten und das folgende Jahr. Problematisch Hessisches FG v. 6.12.1990, 8 K 4342/89, EFG 1991, 363, wonach bei Gewährung eines Verlustrücktrags bei der GewSt ein Rechtsfehler nicht ausgeschlossen sein soll.

 

Rz. 15

Entsprechendes gilt, wenn nach dem Sachverhalt kein Anlass vorlag, (abweichende) Rechtserwägungen anzustellen.[15] Zutreffend hat daher FG Münster v. 19.8.1977, III 2233/77 Erb, EFG 1978, 89 die Gewährung eines im ErbSt-Recht nach einer Reform nicht (mehr) vorgesehenen Freibetrags als offenbare Unrichtigkeit angesehen, wenn sich aus den weiteren Entscheidungen des ErbSt-Bescheids eindeutig ergab, dass neues, nicht altes Recht angewendet werden sollte, ein Rechtsfehler hinsichtlich der Frage der Anwendung des neuen Rechts also ausgeschlossen war. Vgl. auch FG Berlin v. 6.12.1988, VII 416/87, EFG 1989, 333 zum Ansatz eines Gewinns aus Gewerbebetrieb bei der GewSt, nicht aber bei der ESt.

Rz. 16 einstweilen frei

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