Rn. 10

Stand: EL 154 – ET: 11/2021

Die nicht bloß abstrakt, sondern im Einzelfall konkret festzustellende Unterhaltspflicht des Kindergeldberechtigten korrespondiert mit der anspruchsbegründenden Bedürftigkeit des unterhaltsberechtigten Kindes (vgl § 1602 BGB; BFH v 16.04.2002, VIII R 50/01, BStBl II 2002, 575; BFH v 17.03.2006, III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285). Der Unterhaltsanspruch des Kindes setzt einen ungedeckten Unterhaltsbedarf des Kindes (FG D´dorf v 07.04.2016, 16 K 1697/15 Kg, FamRZ 2016, 1893) und die Leistungsfähigkeit des Kindergeldberechtigten (§ 1603 BGB) voraus. Es sind unterhaltsrechtliche Maßstäbe nach dem BGB und nicht sozialhilferechtliche Maßstäbe nach dem SGB II oder SGB XII anzulegen, FG SAnh v 29.03.2012, 4 K 916/11, EFG 2012, 1564. Das Kindergeld kann nach FG D'dorf EFG v 31.07.2008, 14 K 272/08 Kg, EFG 2008, 1983; FG SchlH v 15.09.2016, 4 K 82/16; FG SchlH v 28.06.2017, 2 K 217/16 zumindest dann an minderjährige Kinder abgezweigt werden, wenn ein Vormund bestellt ist, dem auch die Vermögensfürsorge obliegt. Eine Nichterfüllung der Unterhaltspflicht ist auch dann gegeben, wenn der Jugendhilfeträger die Kosten des notwendigen Unterhalts für das in einer betreuten Wohnform lebende volljährige Kind deshalb übernimmt, weil der Kindergeldberechtigte eine Beteiligung an den Kosten ablehnt, BFH v 15.07.2010, III R 89/09, BStBl II 2013, 695.

Die Abzweigung setzt lediglich die objektive Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus, eine schuldhafte Verletzung der Unterhaltspflicht ist nicht erforderlich, BFH v 23.02.2006, III R 65/04, BStBl II 2008, 753; Wendl in H/H/R, § 74 EStG Rz 8 (Juni 2020); die Nichterfüllung einer individuellen Unterhaltsvereinbarung reicht nicht aus, BFH v 06.06.2006, III B 202/05, BFH/NV 2006, 1653. Es genügt eine partielle Pflichtverletzung, denn wer Leistungen schuldig bleibt, kommt iSv § 74 Abs 1 S 1 EStG seiner Unterhaltspflicht nicht nach, FG Brandenburg v 13.05.2004, 6 K 1098/03, EFG 2004, 1635. Dabei ist auf den einzelnen Monat abzustellen, FG Mchn v 12.12.2007, 10 K 4917/06, EFG 2008, 698.

Aber nicht bereits die einmalige oder die unwesentliche, sondern erst die fortdauernde Verletzung der Unterhaltspflicht rechtfertigt eine Abzweigung des Kindergelds, Wendl in H/H/R, § 74 EStG Rz 8 (Juni 2020); V 33.2 Abs 2 S 4 u 5 DA-KG 2020. Die insofern bedeutsame Höhe des Unterhaltsanspruchs ist primär dem rechtskräftigen Unterhaltstitel zu entnehmen. Liegt ein solcher nicht vor, müssen die von den Zivilgerichten entwickelten Orientierungshilfen (zB die Düsseldorfer Tabelle) sowie bei minderjährigen Kindern nach Wahl des Kindes die RegelbeitragsVO nach § 1612a BGB herangezogen werden; Wendl in H/H/R, § 74 EStG Rz 7 (Juni 2020); Selder in Blümich, § 74 EStG Rz 13 (Mai 2020).

Eine "einvernehmliche" Abzweigung des Kindergeldes sieht § 74 EStG hingegen nicht vor, BFH v 10.04.2012, III B 131/11, BFH/NV 2012, 1129.

Die Art der Unterhaltsgewährung für ein unverheiratetes Kind können nach § 1612 Abs 2 BGB die Eltern bestimmen. Die Eltern verletzen ihre Unterhaltspflicht nicht, wenn sie ihrem unverheirateten Kind den Unterhalt in Form von Unterkunft, Verpflegung und Bekleidung anbieten. Gegenüber einem volljährigen auswärts lebenden Kind ist jedoch grds Unterhalt durch eine Geldrente zu leisten, sodass eine Auszahlung des Kindergelds an das Kind erfolgen kann, wenn der Unterhaltsverpflichtete Naturalunterhalt anbietet, BFH v 17.03.2006, III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285; FG D'dorf v 04.07.2005, 14 K 5656/04 Kg, EFG 2005, 1787; FG Münster v 25.11.2004, 5 K 429/02 Kg, EFG 2005, 792; FG Münster v 23.10.2007, 8 K 590/06 Kg, EFG 2008, 386.

Gewährt ein Jugendhilfeträger aufgrund von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 41, 34, 39 SGB VIII dem Kind Unterkunft und Unterhalt in einer betreuten Wohnform außerhalb des Elternhauses, liegt eine Nichterfüllung der Unterhaltspflicht auch dann vor, wenn der Kindergeldberechtigte dem Kind ein Zimmer im Elternhaus und Unterhalt innerhalb der Familie angeboten hat, BFH v 15.07.2010, III R 89/09, BStBl II 2013, 695. Die gesetzliche Verpflichtung, einen Kostenbeitrag zu den vom Jugendhilfeträger übernommenen Kosten zu leisten, ergibt sich für den Unterhaltsverpflichteten aus § 94 Abs 3 SGB VIII; vgl BFH v 15.07.2010, III R 89/09, BStBl II 2013, 695.

Eine Unterhaltspflichtverletzung ist nach FG Mchn v 14.02.2007, 9 K 202/06, EFG 2007, 1178, nachgehend BFH v 13.08.2007, III B 51/07, BFH/NV 2007, 2276, auch dann gegeben, wenn der Kindergeldberechtigte vom Träger der Jugendhilfe nach den §§ 90–97b SGB VIII an den Kosten für die Leistungen der Jugendhilfe beteiligt wird, aber diese nicht bezahlt.

 

Rn. 11

Stand: EL 154 – ET: 11/2021

Die Nichterfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht ist dann gegeben, wenn der Kindergeldberechtigte keinen (Bar-)Unterhalt leistet. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Kindergeldberechtigte lediglich Zahlungen an einen Dritten aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung (hier: Zahlungen an eine Musikschule) entrichtet, die dem Kind ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge