1 Schrifttum:

Schwarz, Missbrauchsbekämpfung beim Kindergeld, Der Familien-Rechts-Berater 2019, 417

Verwaltungsanweisungen:

BZSt v 15.08.2019, BStBl I 2019, 846 zu III (Familienleistungsausgleich; Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch; außer Kraft, gültig bis 26.08.2020);

BZSt v 17.09.2021, BStBl I 2021, 1598 (Familienleistungsausgleich, Neufassung der , Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem EStG (DA-KG 2021).

I. Allgemeines

A. Überblick über die Vorschrift

 

Rn. 1

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

§ 71 Abs 1 EStG regelt die Voraussetzungen, unter denen die Familienkasse die Zahlung des Kindergeldes ohne Erteilung eines Bescheides vorläufig einstellen kann.

§ 71 Abs 2 EStG regelt, in welchen Fällen dem Berechtigten unverzüglich die vorläufige Einstellung der Zahlung des Kindergeldes sowie die dafür maßgebenden Gründe mitzuteilen und ihm Gelegenheit zur Äußerung zu geben sind.

§ 71 Abs 3 EStG bestimmt, dass die vorläufig eingestellte Zahlung des Kindergeldes unverzüglich nachzuholen ist, wenn die dem Kindergeldanspruch zugrunde liegende Kindergeldfestsetzung nicht zwei Monate nach der vorläufigen Einstellung der Zahlung mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben oder geändert wird.

B. Entstehungsgeschichte

 

Rn. 2

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

Art 9 Nr 10 des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (SozialMissbrG) v 11.07.2019 BGBl I 2019, 1066 hat § 71 EStG mWv 18.07.2019 (Art 18 Abs 1 SozialMissbrG) in das EStG eingefügt. Diese Regelung, die ein zeitlich begrenztes Zurückbehaltungsrecht des auszuzahlenden Kindergelds beinhaltet (Avvento in Kirchhof/Seer, § 71 EStG Rz 1 (21. Aufl), ermöglicht es den Familienkassen, schneller auf Änderungen in den Verhältnissen der Eltern oder Kinder reagieren zu können. Sie dient dazu, Überzahlungen zu verhindern und die Anzahl der Fälle zu verringern, in denen ein höherer Betrag vom Kindergeldberechtigten zurückzufordern ist (BT-Drucks 19/8691, 67).

In Fällen, in denen Anhaltspunkte für einen organisierten Leistungsmissbrauch bestehen, kann die Familienkasse schneller reagieren und die Auszahlung unterbinden. Ferner soll die Regelung dazu dienen, dass Kindergeldempfänger aufgrund der Zahlungseinstellung ihrer Mitwirkungspflicht stärker nachkommen und sich an die Familienkasse wenden und für den Kindergeldanspruch erforderliche Angaben machen oder Nachweise und Belege rechtzeitig vorlegen, bevor ein Aufhebungs- oder Änderungsbescheid ergeht (BT-Drucks 19/8691, 69).

§ 71 EStG entspricht weitgehend der Regelung in § 331 SGB III (Arbeitsförderung), die über § 40 Abs 2 Nr 4 SGB II auch für den Bereich der Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende mit der Maßgabe gilt, dass dort eine teilweise Zahlungseinstellung möglich ist (BT-Drucks 19/8691, 67). Hingegen gibt es im Bereich der Sozialhilfe (SGB XII) keine mit § 71 EStG vergleichbare Vorschrift, die eine vorläufige Zahlungseinstellung ermöglicht.

 

Rn. 3–9

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

vorläufig frei

II. Anwendungsbereich des § 71 EStG

A. Sachlicher Anwendungsbereich

 

Rn. 10

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

Bei § 71 Abs 1 EStG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Vorschrift. Sie eröffnet die Möglichkeit der vorläufigen Einstellung laufender Kindergeldzahlungen, sofern die Familienkasse Kenntnis von Tatsachen erhält, die zu einer rückwirkenden Aufhebung der Kindergeldfestsetzung führen, ohne dass bereits ein Aufhebungs- oder Änderungsbescheid ergangen ist. Es handelt sich um ein zeitlich begrenztes Zurückbehaltungsrecht, das insbesondere Leistungsmissbrauch (Überzahlungen) verhindern soll, BZSt v 15.08.2019, BStBl I 2019, 846 zu III.

§ 71 Abs 1 Nr 1 EStG setzt die positive Kenntnis der Familienkasse von derartigen Tatsachen voraus. Allein die fehlende Mitwirkung des Kindergeldberechtigten reicht für die vorläufige Einstellung der Kindergeldzahlungen nicht aus.

§ 71 Abs 1 EStG kommt hingegen dann nicht zur Anwendung, wenn der Sachverhalt nach Gewährung rechtlichen Gehörs entscheidungsreif ist. Dann ist die Kindergeldfestsetzung unmittelbar aufzuheben oder zu ändern, wenn die entsprechenden verfahrensrechtlichen Voraussetzungen (§§ 173ff AO) gegeben sind.

Der Kindergeldberechtigte ist über die vorläufige Einstellung der Kindergeldzahlung unter Benennung der dafür maßgebenden Gründe zu informieren; ihm ist die Gelegenheit zur Äußerung zu geben (§ 71 Abs 2 S 1 u S 2 EStG).

Entsprechend dem vorläufigen Charakter der Maßnahme bestimmt § 71 Abs 3 EStG die unverzügliche Nachholung der Kindergeldzahlungen, soweit die Festsetzung des Kindergeldes nicht mit Wirkung für die Vergangenheit innerhalb von 2 Monaten nach der vorläufigen Einstellung der Zahlung aufgehoben oder geändert wird.

 

Rn. 11–15

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

vorläufig frei

B. Verfassungsmäßigkeit

 

Rn. 16

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

Die Vorschrift erscheint verfassungsrechtlich in verschiedener Hinsicht nicht unbedenklich. Die vorläufige Einstellung der Zahlung des Kindergeldes erfolgt, obwohl die Festsetzung des Kindergeldes in diesem Zeitpunkt (noch) nicht aufgehoben worden ist. Dies bedarf besonderer Rechtfertigung, da in diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht, ob es nachfolgend tatsächlich zu einer Aufhebung oder Änderung d...

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