Rn. 170m

Stand: EL 142 – ET: 04/2020

Wie der Rspr-Befund zeigt, sind in kritischen Zurechnungsfällen höchst selten alle Kriterien – Übergang von Besitz (in Erwartung des Eigentumserwerbs), Nutzung (periodisch/aperiodisch/Übergang Wertsteigerungschance), (Wertminderungs-)Gefahr, Lasten – erfüllt. Da es für die Zurechnung unbeweglicher WG auch insoweit auf das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse ankommt, ist der Übergang wirtschaftlichen Eigentums auch dann anzunehmen, wenn die Voraussetzungen nicht in vollem, aber doch in einem für die Annahme eines Ausschlusses des Eigentümers von der tatsächlichen Sachherrschaft hinreichenden Umfang gegeben sind (BFH v 20.11.2011, IV R 35/08, BFH/NV 2012, 377).

Die in IDW, ERS HFA 13 nF v 29.11.2006, FN-IDW 2007, 83, Tz 8 zur Kriteriengewichtung bei Immobilien geäußerte Auffassung des HFA, je nach Sachverhalt sei "das Recht, selbst zu nutzen, oder das Recht, die Entgelte aus Nutzungsverträgen mit Dritten zu ziehen, oder auch die Möglichkeit zur Veräußerung bedeutsam", greift deutlich zu kurz. Die Forderung, dass ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein WG in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das WG wirtschaftlich ausschließen kann, so dass ihm und nicht dem zivilrechtlichen Eigentümer das WG zuzurechnen ist, führt unter notwendiger Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall für unbewegliche WG vielmehr zu folgender grds Kriteriengewichtung:

Der Besitzübergang in Erwartung des Eigentumserwerbs muss für die Annahme vom zivilrechtlichen abweichenden wirtschaftlichen Eigentums grds stets erfüllt sein (vgl insb BFH v 10.06.1988, III R 18/85, BFH/NV 1989, 348). Ohne (zumindest mittelbaren) Besitz grds keine tatsächliche Sachherrschaft. Die Bedeutung des Besitzübergangs wird bereits im Hinblick darauf deutlich, dass der Besitzer gem § 986 BGB die Herausgabe der Sache verweigern kann, wenn er oder der mittelbare Besitzer, von dem er sein Recht zum Besitz ableitet, dem Eigentümer gegenüber zum Besitz berechtigt ist. Die Abgrenzung zur Position des Mieters/Pächters etc erfordert weitergehend Besitz in Erwartung des Eigentumserwerbs auf Basis einer rechtlich geschützten Position, durch die das dauerhafte Ausschlussrecht des potenziellen Erwerbers gesichert ist.

In Kaufvertragsfällen legt § 446 BGB die Grundlage für die herausgehobene Bedeutung des Besitzübergangs: Mit Besitzerlangung durch Übergabe geht zugleich die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung (Preisgefahr) auf den Käufer über (§ 446 S 1 BGB), die Übergabe löst die Erfüllung eines weiteren wesentlichen Zurechnungskriteriums bzgl substanzbezogener Risiken aus, sofern nichts Abweichendes vereinbart wird. Darüber hinaus gebühren dem Erwerber unabhängig vom Zeitpunkt des zivilrechtlichen Eigentumserwerbs von der Übergabe an die Nutzungen und er trägt die Lasten der Sache (§ 446 S 2 BGB), die Übergabe führt mithin (vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen) zur Erfüllung auch der bzgl (laufender) Nutzungen und Lastentragung bestehenden Zurechnungsanforderungen. In Werkvertragsfällen ist der Werkunternehmer zur Herstellung und ebenfalls zur Übergabe des versprochenen Werkes verpflichtet. Anders als in Kaufvertragsfällen führt die Übergabe bei Werkverträgen zwar zum Besitz und ggf zur Nutzungsberechtigung sowie Lastentragung des übergebenen Werks (WG), nicht hingegen zum Übergang der Gefahr zufälligen Untergangs oder zufälliger Verschlechterung (Preisgefahr), diese geht erst mit (förmlicher oder konkludenter) Abnahme über.

Liegen die (erhöhten) Voraussetzungen für besitzloses wirtschaftliches Eigentums vor, wird der grundsätzlich erforderliche Besitzübergang in Erwartung des Eigentumserwerbs durch die umfassende Weisungsbefugnis des Nichteigentümers und dessen jederzeitigen Anspruch auf Eigentumsübertragung kompensiert.

Der Nutzenübergang hat iRd Prüfung des wirtschaftlichen Eigentumsübergangs – differenziert nach laufender und aperiodischer Nutzung – einen hohen Stellenwert. Grundstücke und Gebäude zeichnen sich durch eine vergleichsweise lange Nutzungsdauer aus. Für den Immobilienfall bedeutet die auf den Ausschluss des zivilrechtlichen Eigentümers von der Einwirkung auf das WG für dessen gewöhnliche Nutzungsdauer abstellende Zurechnungsanweisung des § 39 Abs 2 Nr 1 AO entsprechend eine vergleichsweise hohe Hürde für eine vom Zivilrecht abweichende Zurechnung. Die lange Nutzungsdauer ist verbunden mit einem lang andauernden Potenzial zur laufenden Nutzung des WG sowie mit einer hohen Bandbreite nicht nur theoretisch möglichen Wertschwankungen (Wertsteigerungschancen sowie Wertminderungsrisiken). Der laufenden Nutzenziehung sowie der Verteilung der Wertsteigerungschancen wird durch die Rspr iRd Prüfung zutreffend ein entsprechend zu Recht hohes Gewicht beigemessen. Die Möglichkeiten der aperiodischen Nutzung durch Veräußerung/Belastung sind indessen nicht positiv für den Nichteige...

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