Leitsatz (amtlich)

Regelt eine Betriebsvereinbarung für Not- und Eilfälle neben der Anordnung von Mehrarbeit/Sonderschichten auch die Gewährung von Zeitzuschlägen, dann unterliegen die Bestimmungen über Zeitzuschläge der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 3, § 87 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 17.01.2001; Aktenzeichen 3 BV 11/00)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 21.01.2003; Aktenzeichen 1 ABR 9/02)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Arbeitgebers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 17.01.2001, 3 BV 11/00, abgeändert.

Der Antrag des Betriebsrats wird zurückgewiesen.

Auf den Hilfsantrag des Betriebsrats wird festgestellt, dass die Betriebsvereinbarung über eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit in Not- und Eilfällen (§ 87 I Nr. 3 BetrVG) vom 04.08.1995 insgesamt unwirksam ist.

Die Rechtsbeschwerde wird für beide Beteiligten zugelassen.

 

Gründe

I.

Der Betriebsrat begehrt die Verpflichtung des Arbeitgebers, die in § 4 der Betriebsvereinbarung über eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit in Not- und Eilfällen (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) – im Folgenden: Betriebsvereinbarung – vorgesehene Zeitausgleichsregelung bei Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit anzuwenden. Der Arbeitgeber vertritt die Auffassung, dass die Ausgleichsregelung des § 4 der Betriebsvereinbarung wegen Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam ist.

Die Betriebsvereinbarung wurde am 04.08.1995 abgeschlossen zwischen der Geschäftsleitung der Deutschen Bahn AG, Geschäftsbereich Netz, Niederlassung O. und dem Betriebsrat der Niederlassung Netz O. Nach Umorganisation ist Arbeitgeber nunmehr die DB Netz AG, der Betriebsrat besteht für den Wahlbetrieb O.. Die Betriebsvereinbarung, die bisher nicht gekündigt ist, bestimmt u. a.:

§ 2 Not-, Eil- und außerordentliche Fälle

(1) Unter Not-, Eil und außerordentlichen Fällen im Sinne des § 1 sind insbesondere nachstehende Ereignisse zu verstehen:

  • Unfälle, Brände und Katastrophen mit Einfluss auf den Eisenbahnbetrieb;
  • Beseitigung von Störungen und Behinderungen, die eine Beeinflussung des reibungslosen Betriebsablaufes darstellen und über den normalen Bereitschaftsdienst hinausgehen;
  • unerwartet auftretende Abweichungen im geplanten Betriebs- und Bauablauf;
  • kurzfristig anfallende Sondereinsätze und Zusatzverkehre, die eine Besetzung außerhalb der üblichen Arbeitszeit notwendig machen;
  • plötzliche Personalausfälle infolge kurzfristiger Krankmeldungen, die eine kurzfristige Änderung in der Personaldisposition innerhalb von 24 Stunden erfordern;
  • witterungsbedingte Sondereinsätze und

    darüber hinaus alle kurzfristigen Umstände, die sich aus § 16 Abs. 2 des „Tarifvertrages über einzelne Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer der DB AG (RPTV)” ergeben.

(2) Ein Not-, Eil und außerordentlicher Fall ist gegeben, wenn der Umstand oder Anlass, der zu einem solchen Ereignis führt, 3 Werktage und weniger vor dem Zeitpunkt der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit eintritt bzw. bekanntgeworden ist.

§ 3 Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates

„(1) In Fällen des § 2 wird, wenn anders nicht möglich, ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, die Verkürzung oder Verlängerung angeordnet. Die Zustimmung des Betriebsrates gilt als im Voraus erteilt.”

(2) Der Betriebsrat ist jedoch unverzüglich, spätestens innerhalb von 3 Werktagen nach dem Eintreten bzw. Bekanntwerden des Ereignisses unter Angabe der Umstände und Gründe zu informieren.

(3) Für die Information des Betriebsrates ist der/die Mitarbeiter/in verantwortlich, der die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit angeordnet hat.

§ 4 Ausgleichsregelung

(1) Im Falle einer vorübergehenden Verkürzung der Arbeitszeit aus den in § 2 genannten Ereignissen ist die vorzeitig abgebrochene Schicht voll anzurechnen.

(2) Im Fall eines der in § 2 genannten Ereignisse

  • sind bei Sonderleistungen oder -schichten zusätzlich 120 Minuten über die tariflichen Regelungen hinaus anzurechnen;
  • wird bei Verlängerung der planmäßigen Arbeitszeit von mehr als 30 Minuten die über die 30 Minuten hinausgehende zusätzlich angefallene Arbeitszeit um 100 % erhöht;

(3) Bei vorzeitigem Abbruch ist eine Sonderleistung oder -schicht voll anzurechnen.

Bis einschließlich August 2000 hat der Arbeitgeber die Ausgleichsregelung des § 4 der Betriebsvereinbarung angewandt. Mit Schreiben vom 20.09.2000 hat er dem Betriebsrat mitgeteilt, dass die Ausgleichsregelung gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoße und deshalb nicht mehr angewendet werde. Im Übrigen sei die Betriebsvereinbarung wirksam Lind weiterhin anzuwenden.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Betriebsvereinbarung regele die Verkürzung und Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG sei deshalb nicht anzuwenden, abschließende und zwingende tariflich...

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