Leitsatz

1. Aufwendungen für den Besuch einer Schule für Hochbegabte können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein, wenn der Schulbesuch medizinisch angezeigt war.

2. Die erforderlichen Feststellungen hat das FG nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu treffen. An dem Erfordernis einer vorherigen amts- oder vertrauensärztlichen Begutachtung zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Maßnahme, die auch zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) gehören könnte, hält der erkennende Senat nicht länger fest.

 

Normenkette

§ 33 EStG, § 96 FGO

 

Sachverhalt

Bei Ks 1987 geborenem Sohn S wurde ein IQ von 133 festgestellt. S wechselte von der zweiten in die vierte Grundschulklasse und besuchte danach ein Gymnasium. Nach zunehmenden Schulschwierigkeiten empfahl der Allgemeine Sozialdienst (§ 35a SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfegesetz) den Besuch der B-School in Schottland, um einer bereits entstehenden Fehlentwicklung des S entgegenzuwirken. Der Hausarzt diagnostizierte ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) und empfahl die Unterbringung an einer Schule für Hochbegabte, um einer nachhaltigen narzistischen Persönlichkeitsstörung mit reaktiver Depression bei anhaltender seelischer und mentaler Verarmung entgegenzuwirken. Dem schloss sich ein nervenärztliches Gutachten an. Ein amtsärztliches Gutachten beurteilte die bei Hochbegabung auftretenden Störungen als Krankheit und seelische Behinderung. Auf Grundlage dieser Empfehlungen besuchte S die B-School und bestand dort das Abitur. K machte die Schul- und Internatskosten von 51 616 DM (2001) und i.H.v. 23 457 EUR (2002) vergeblich beim FA als außergewöhnliche Belastungen geltend. Die Klage blieb erfolglos (FG München, Urteil vom 29.05.2008, 15 K 3058/05, Haufe-Index 2016656, EFG 2008, 1453).

 

Entscheidung

Der BFH hob, wie unter den Praxis-Hinweisen dargestellt, die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Dieses wird nun zu prüfen haben, ob der Internatsbesuch medizinisch indiziert war.

 

Hinweis

Der Besprechungsfall ist ein Anwendungsbeispiel für die neuen Rechtsgrundsätze der BFH-Entscheidung vom 11.11.2010, VI R 17/09 (BFH/NV 2011, 503, BFH/PR 2011, 134) zum Nachweis der medizinischen Indikation für Maßnahmen, deren Kosten als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden. Danach gilt nicht mehr das Erfordernis einer vorherigen amts- oder vertrauensärztlichen Begutachtung zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Maßnahme. Auch andere Stellen können die medizinische Indikation begutachten.

1. Die neuen Rechtsgrundsätze hatte das FG noch nicht berücksichtigt. Im zweiten Rechtsgang wird es nun entscheidend darauf ankommen, ob der Besuch der Schule in Schottland medizinisch angezeigt war. Dann können die Aufwendungen – einschließlich der für die Internatsunterbringung – unmittelbare Krankheitskosten sein. § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG steht dem nicht entgegen, denn § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasst keine krankheitsbedingten Schulkosten.

2. Steht die medizinische Indikation fest, gilt wie bei allen medizinischen Maßnahmen, dass nicht nur das medizinisch Notwendige, sondern jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung aus medizinischer Sicht hinreichend gerechtfertigt ist, als krankheitsbedingt. Die einkommensteuerrechtliche Beurteilung folgt der medizinischen, soweit nicht ein offensichtliches Missverhältnis zwischen erforderlichem und tatsächlichem Aufwand besteht. Diese Feststellungen wird das FG im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 S. 1 FGO) zu treffen haben. Dabei hat es die typischen Instrumente gerichtlicher Sachverhaltsaufklärung zu nutzen. In Streitfällen der vorliegenden Art werden regelmäßig medizinische Gutachten einzuholen sein.

3. Sollte dies alles festgestellt und die medizinische Indikation belegt sein, sind die Aufwendungen außergewöhnliche Belastungen; allerdings werden Erstattungsleistungen der öffentlichen Hand angerechnet. Zur Vermeidung der mehrfachen Berücksichtigung desselben Aufwands scheidet auch ein Abzug nach § 33a EStG (Ausbildungsfreibetrag wegen auswärtiger Unterbringung) bei Berücksichtigung der Aufwendungen nach § 33 EStG aus.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 12.05.2011 – VI R 37/10

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