Leitsatz

1. Ein Kindergeldanspruch nach §§ 62 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für die Dauer der Untersuchungshaft setzt u.a. eine nur vorübergehende Unterbrechung der Ausbildung voraus.

2. Eine solche lediglich vorübergehende Unterbrechung der Berufsausbildung liegt nicht vor, wenn das Kind zwar zu einem Zeitpunkt, in dem es Ausbildungsmaßnahmen durchführt, in Untersuchungshaft genommen wird, jedoch weder während der Untersuchungshaft noch im Anschluss an deren Ende eine Ausbildung beginnt oder fortsetzt.

 

Normenkette

§ 62 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Buchst. c EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Vater eines 1991 geborenen Sohnes (S), der im August 2010 eine Ausbildung begann, die bis Februar 2014 dauern sollte. Von Oktober 2012 bis November 2013 befand sich S aufgrund eines Strafverfahrens in Untersuchungshaft. Die Justizvollzugsanstalt bot keine Ausbildungsmöglichkeiten.

Der Ausbildungsbetrieb kündigte das Ausbildungsverhältnis im November 2012 wegen unentschuldigten Fehlens. Im Dezember 2014 wurde S freigesprochen.

Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab November 2012 auf und forderte das für November 2012 bis Januar 2014 ausbezahlte Kindergeld zurück.

Das FG sah in der Untersuchungshaft eine unschädliche Unterbrechung der Ausbildung und gab der Klage deshalb für November 2012 bis November 2013 statt; im Übrigen wies es sie als unbegründet ab (Thüringer FG, Urteil vom 6.4.2017, 1 K 276/15, Haufe-Index 11348737).

 

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf, weil S sich nicht in Ausbildung befand, und verwies es zurück. Im zweiten Rechtsgang ist zu prüfen, ob er sich während der Haft um eine Ausbildungsstelle bemüht hatte.

 

Hinweis

1. Für die Frage, ob ein Kind i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a für einen Beruf ausgebildet wird, kommt es nicht auf das formale (Weiter-)Bestehen eines Ausbildungsverhältnisses an, sondern darauf, dass Ausbildungsmaßnahmen tatsächlich durchgeführt werden. Auch im Falle einer Inhaftierung ist daher nicht entscheidend, ob das Ausbildungsverhältnis fortbesteht oder vom Ausbildungsbetrieb wirksam gekündigt wurde, sondern ob während der Haft Ausbildung stattfindet.

2. Unterbrechungen der Ausbildung können unschädlich sein, z.B. wegen Erkrankung und Mutterschutz (BFH, Urteil vom 24.9.2009, III R 79/06, BFH/NV 2010, 614). Im BFH-Urteil vom 20.7.2006 (III R 69/04, BFH/NV 2006, 2067) wurde daher ein Kindergeldanspruch während der Untersuchungshaft trotz Fehlens von Ausbildungsmaßnahmen anerkannt. Dafür genügt es aber nicht, dass das Kind später freigesprochen wird und deshalb die Unterbrechung seiner Ausbildung nicht zu vertreten hat. Voraussetzung ist vielmehr auch, dass es sich um eine nur vorübergehende Unterbrechung der Ausbildung handelt, diese also anschließend fortgesetzt oder (neu) begonnen wird.

Die Voraussetzungen einer für die Berücksichtigung unschädlichen vorübergehenden Unterbrechung bei Inhaftierung sind ansonsten ungeklärt. Neben der Haftdauer könnte insofern auch der Fortbestand des Ausbildungsverhältnisses von Bedeutung sein.

3. Ein volljähriges Kind kann während der Untersuchungshaft auch berücksichtigt werden, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG). Dazu muss sich das Kind belegbar ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemühen, für den es qualifiziert ist und den es auch antreten könnte.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 18.1.2018 – III R 16/17

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