Leitsatz

Die Bindungswirkung eines bestandskräftigen, die Gewährung von Kindergeld ablehnenden Bescheids verlängert sich bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, wenn (auch) der Einspruch keine Einschränkung des zeitlichen Regelungsbereichs enthält und durch die Familienkasse als unbegründet zurückgewiesen wird.

 

Normenkette

§ 66 Abs. 2, § 67 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger erhielt Kindergeld für seinen seit der Geburt schwerbehinderten Sohn, bis dieser im Januar 2005 das 21. Lebensjahr vollendete. Den Einspruch gegen die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes ab Februar 2005 wies die Familienkasse mit bestandskräftiger Einspruchsentscheidung vom 13.1.2005 zurück. Im Dezember 2006 beantragte der Kläger erneut Kindergeld. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse im Januar 2007 ab und wies den Einspruch durch Entscheidung vom 29.11.2007 zurück. Im April 2008 stellte der Kläger einen weiteren Kindergeldantrag, den die Familienkasse mit Bescheid vom 1.7.2008 ebenfalls ablehnte. Auch der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.

Das FG gab der im Februar 2009 erhobenen Klage auf "Bewilligung" von Kindergeld ab Dezember 2004 teilweise statt und verpflichtete die Familienkasse, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 1.7.2008 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27.1.2009, über den Kindergeldantrag für den Zeitraum ab Februar 2007 erneut zu entscheiden (FG Köln, Urteil vom 29.9.2010, 12 K 528/09, Haufe-Index 2629131, EFG 2011, 810). Die weiter gehende Klage wies es ab.

 

Entscheidung

Die nicht beschränkte Revision der Familienkasse war hinsichtlich der Monate Dezember 2004 bis Januar 2007 sowie des Zeitraums ab Januar 2008 mangels einer Revisionsbegründung unzulässig. Im Übrigen, d.h. wegen der Verpflichtung der Familienkasse zur erneuten Bescheidung für den Zeitraum Februar 2007 bis Ende Dezember 2007, war sie begründet und führte zur Abweisung der Klage, da über diesen Zeitraum durch die im Dezember 2007 bekannt gegebene Einspruchsentscheidung vom 29.11.2007 bereits bestandskräftig entschieden worden war.

 

Hinweis

1. Kindergeld wird durch Dauerverwaltungsakte festgesetzt. Ablehnungs- und Aufhebungsbescheide haben aber keine Dauerwirkung. Ihr zeitlicher Regelungsumfang reicht nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe des Bescheids, wenn dieser nicht ausnahmsweise eine ausdrücklich abweichende Regelung enthält oder sich der abweichende Regelungsumfang dem Bescheid durch Auslegung entnehmen lässt (z.B. Aufhebung wegen Überschreitung des Grenzbetrags nur für ein zurückliegendes Jahr (BFH, Urteil vom 26.11.2009, III R 87/07, BFH/NV 2010, 726, BFH/PR 2010, 221).

2. Die Frage, ob sich die Bindungswirkung der bestandskräftigen Kindergeldablehnung durch ein anschließendes erfolgloses Einspruchsverfahren verlängert, ist in der FG-Rechtsprechung und der Literatur umstritten. Der BFH hat sich nun für eine Verlängerung der Bindungswirkung entschieden. Dies beruht auf der Erwägung, dass die Behörde den Kindergeldanspruch zunächst aufgrund der Sach- und Rechtslage des Zeitpunkts der Bescheid­erteilung versagt und daher nicht auch für einen in der Zukunft liegenden Zeitraum entscheidet, für den ein Anspruch noch nicht entstanden sein kann. Legt der Kindergeldberechtigte sodann gegen den Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid Einspruch ein, wird das durch den Ablehnungsbescheid aus Sicht der Familienkasse zunächst beendete Verwaltungsverfahren fortgesetzt. Weil der Kindergeldberechtigte mit einem zeitlich nicht eingeschränkten Einspruch aber nicht nur eine Überprüfung der bereits abgelehnten Ansprüche begehrt, sondern auch die Festsetzung von Kindergeld für die Zukunft, fallen die Monate bis zur Einspruchsentscheidung in das fortgesetzte Verwaltungsverfahren. Für etwaige nach dem Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid monatsweise entstandenen Kindergeldansprüche, die die Familienkasse entsprechend dem Verpflichtungsbegehren auf Erlass eines begünstigenden Dauerverwaltungsakts in ihre abschließende Entscheidung einzubeziehen hat, ist aber nunmehr die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung maßgebend.

3. Ist der Ablehnungsbescheid ohne Einspruch bestandskräftig geworden, kann ab dem der Bekanntgabe folgenden Monat ein weiterer Antrag auf Kindergeld gestellt werden, nach einem erfolglosen Einspruchsverfahren dagegen erst ab dem auf die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung folgenden Monat. Um eine Festsetzungsverjährung zu vermeiden, sollte dieser Antrag auch im Falle der Klageerhebung umgehend gestellt werden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 4.8.2011 – III R 71/10

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