Leitsatz

§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG setzt voraus, dass der Ausländer sich seit mindestens drei Jahren ohne Unterbrechung rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Inland aufhält. Kommt es zu einer Unterbrechung des Aufenthalts, beginnt die dreijährige Wartefrist erneut zu laufen.

 

Normenkette

§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger, Vater von zwei minderjährigen Kindern und seit 1991 bei einem Unternehmen beschäftigt. Von 1997 bis zum 11.3.2001 verfügte er über Duldungen. In der Zeit vom 15.3.2001 bis zum 15.5.2001 bestanden Ausreiseaufforderungen. Zusätzlich wurde dem Kläger eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgehändigt. Ab dem 8.6.2001 erhielt er Aufenthaltsbefugnisse nach § 30 AuslG 1990 und seit Juni 2005 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.

Die Familienkasse setzte Kindergeld nur für die Zeit ab Juni 2005 fest. Im Klageverfahren verpflichtete sie sich, Kindergeld auch für Juni 2004 bis Mai 2005 festzusetzen. Für die danach noch streitigen Monate Juni 2001 bis Mai 2004 gab das FG München der Klage statt (FG München, Urteil vom 23.2.2010, 12 K 2218/09, Haufe-Index 2323712, EFG 2010, 1056). Es entschied, eine kurzfristige Unterbrechung des Dreijahreszeitraums, die jedenfalls bis zur Grenze von drei Monaten angenommen werden könne, sei unschädlich.

 

Entscheidung

Der BFH entschied anders und wies die Klage auf die Revision der Familienkasse hin ab. Da der zunächst geduldete Aufenthalt nicht ununterbrochen bis zum Erhalt der Aufenthaltsbefugnis am 8.6.2001 fortbestand, begann die dreijährige Wartefrist im Juni 2001 erneut zu laufen.

 

Hinweis

1. Um Kindergeld zu erhalten, muss sich ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer mit einer in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG genannten Aufenthaltserlaubnis "seit" mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufgehalten haben und nicht irgendwann einmal drei Jahre. Die Präposition "seit" bezeichnet eine ununterbrochene oder zusammenhängende Zeitspanne, deren Unterbrechung generell schädlich ist. Daher können nicht mehrere kürzere Einzelabschnitte zusammengerechnet werden.

2. Ein dreijähriger rechtmäßiger, gestatteter oder geduldeter Aufenthalt verhilft nicht zum Kindergeldanspruch, wenn er vor dem für die Kindergeldberechtigung maßgebenden Titelerwerb endete. Der qualifizierte Aufenthaltstitel muss vielmehr im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an die ununterbrochene Aufenthaltszeit erworben werden. Wird der Aufenthaltstitel bereits zu Beginn oder im Laufe der Aufenthaltszeit erlangt, sind die Anspruchsvoraussetzungen insoweit mit Ablauf der Dreijahresfrist erfüllt.

3. Der Gesetzgeber will Kindergeld nur solchen Ausländern gewähren, die sich aufgrund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig und voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten. Die dafür erforderliche Prognose hat er mit der Dreijahresfrist im Wege der Typisierung unmittelbar in der Norm selbst verankert. Bei einer Änderung des aufenthaltsrechtlichen Status’ wie dem Wegfall einer Duldung entfällt jedoch die Möglichkeit einer verlässlichen Prognose; dies bedingt den Neuanlauf der Drei-Jahres-Frist im Falle eines erneuten rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts.

4. Nach dem BVerfG-Beschluss vom 10.7.2012, 1 BvL 2/10 u.a. (BGBl I 2012, 1898) ist die Arbeitsmarktintegration als Voraussetzung des Anspruchs bestimmter ausländischer Staatsangehöriger auf Elterngeld bzw. Erziehungsgeld kein hinreichendes Differenzierungskriterium. Unabhängig von der Frage, ob dies auch für § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG gilt, ist die Dreijahresfrist nach Buchst. b jedenfalls nicht betroffen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 24.5.2012 – III R 20/10

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