Leitsatz

1. Die Vollziehung eines Bescheids über den Solidaritätszuschlag für 2012 ist nicht deshalb aufzuheben, weil ein FG im Rahmen eines Vorlagebeschlusses das BVerfG zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit des SolZG angerufen hat.

2. Das öffentliche Interesse am Vollzug des SolZG kann das Interesse der Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes überwiegen.

 

Normenkette

§ 69 FGO, § 1 SolZG, Art. 19 Abs. 4, Art. 100 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 1 Nr. 6 GG

 

Sachverhalt

Im Streitjahr 2012 wurde vom Arbeitslohn der Ast. der Solidaritätszuschlag einbehalten und an das FA abgeführt. Die Ast. begehrten die vorläufige Rückzahlung des von ihnen entrichteten Solidaritätszuschlags. Das niedersächsische FG als Vorinstanz hob die Vollziehung des Bescheids über den Solidaritätszuschlag für 2012 in voller Höhe auf: Der Senat des FG war von der Verfassungswidrigkeit des SolZG überzeugt. Allein der Umstand, dass dem Fiskus durch die Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung erhebliche Einnahmeausfälle drohen, lasse – so das FG – das individuelle Interesse der Ast. an einem effektiven Rechtsschutz nicht hinter das öffentliche Interesse des Staates an einer geordneten Haushaltsführung zurücktreten.

 

Entscheidung

Der BFH hat sich gleichwohl für die Aufhebung der Vorentscheidung (Niedersächsisches FG, Beschluss vom 22.9.2015, 7 V 89/14, Haufe-Index 8801620, EFG 2016, 63) und zur Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung des Bescheids über den Solidaritätszuschlag für 2012 entscheiden müssen.

Besondere Voraussetzungen bei behaupteter Verfassungswidrigkeit

Beruhen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesvorschrift wie dem SolZG, setzt die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich nach ständiger Rechtsprechung bereits voraus, dass ein besonderes berechtigtes Interesse des Asts. an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt.

Ein solches vorrangiges Interesse der Ast. hat der BFH nicht feststellen können: Eine Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung der Bescheide über den Solidaritätszuschlag würde zu einer faktischen Außerkraftsetzung des SolZG und damit zu Einnahmeausfällen in Milliardenhöhe führen. Nach Anrechnung der Steuerabzugsbeträge verbliebe im Streitfall nur ein zu entrichtender Solidaritätszuschlag von ca. 20 EUR, womit die Zahlung keine signifikante Belastung der Ast. nach sich ziehe.

Keine Bindung durch Vorlagebeschluss

Die Anrufung des BVerfG durch ein FG führe im Übrigen nicht dazu, dass der BFH im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines auf die vorgelegte Norm gestützten Verwaltungsakts auszugehen habe.

Im Gegenteil habe der BFH bereits früher entschieden, dass das Solidaritätszuschlaggesetz verfassungsgemäß ist. Das BVerfG habe die dagegen ­erhobenen Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen.

Der erneute Vorlagebeschluss des FG (Urteil vom 21.8.2013, 7 K 143/08, DStRE 2014, 534) enthalte jedenfalls keine neuen, in den Entscheidungen des BFH bisher nicht berücksichtigten Gesichtspunkte von wesentlicher Bedeutung, die eine Verfassungswidrigkeit des SolZG begründen könnten.

Kein irreparabler Grundrechtsverstoß

Eine Aufhebung der Vollziehung ist nach Auffassung des BFH auch nicht geboten, um eine erhebliche Verletzung von Grundrechten zu vermeiden, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnte.

 

Hinweis

Ungeliebter Solidaritätszuschlag

Bekanntlich wird gemäß dem Solidaritätszuschlaggesetz 1995 (SolZG) zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer ein Zuschlag als Abgabe i.S.d. Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 1 Nr. 6 GG erhoben. Die vor 25 Jahren "befristet" eingeführte Ergänzungsabgabe sollte ursprünglich helfen, den Aufbau Ost zu finanzieren. Tatsächlich gilt die Abgabe noch heute, obwohl der Bund nur noch einen Teil des Aufkommens in den "Aufbau Ost" investiert. Nach einer Umfrage im Auftrag des BdSt sprechen sich 79 % der Deutschen für ein Ende des Solidaritätszuschlags aus.

Verfassungsrechtliche Zweifel

Zweifel sogar an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage werden in der Rechtsprechung vor allem durch das Niedersächsische FG vertreten. Eine entsprechende Vorlage (Beschluss vom 25.11.2009, 7 K 143/08, EFG 2010, 1071) an das BVerfG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlages im Veranlagungszeitraum 2007 ist freilich in der Sache nicht entschieden worden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.9.2010, 2 BvL 3/10, BFH/NV 2010, 2217): Die Vorlage war unzulässig, da sie nicht den Anforderungen genügte, die an eine Begründung für die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit einer Ergänzungsabgabe zu stellen sind.

Indessen hat das Niedersächsische FG erneut (Beschluss vom 21.8.2013, 7 K 143/08, DStRE 2014, 534) einen Vorlagebe...

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