Leitsatz

1. Setzt ein Kind nach Beendigung der Ausbildung zur Steuerfachangestellten seine Berufsausbildung mit den weiterführenden Berufszielen "Staatlich geprüfter Betriebswirt" und "Steuerfachwirt" nicht zum nächstmöglichen Zeitpunkt fort, handelt es sich bei der nachfolgenden Fachschulausbildung um eine Zweitausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.

2. In diesem Fall schließt eine mehr als 20 Wochenstunden umfassende Erwerbstätigkeit während der Zeit des Wartens auf den Antritt der Fachschulausbildung und während deren Durchführung einen Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG aus.

 

Normenkette

§ 62 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, b und c, Sätze 2 und 3 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Vater einer 1990 geborenen Tochter T, die nach ihrem Abitur eine im Juni 2013 abgeschlossene Ausbildung zur Steuerfachangestellten absolvierte. Anschließend nahm sie eine Vollzeitbeschäftigung in ihrem Ausbildungsbetrieb auf. Im September 2013 meldete sie sich bei einer Fachschule für Wirtschaft (Fachrichtung Betriebswirtschaft, Schwerpunkt Steuern) in Teilzeitform an und erhielt eine Zusage für das Schuljahr 2014/2015. Zum 1.4.2014 wechselte sie in eine andere Steuerberatungskanzlei, wo sie zunächst wöchentlich 40 Stunden und ab September 2014 dann noch 36 Stunden arbeitete. Am 20.8.2014 begann ihre Ausbildung an der Fachschule.

Der Ausbildungsgang zum "Steuerfachwirt" erfordert einen dreieinhalbjährigen Besuch der Fachschule für Wirtschaft, der den Abschluss "Staatlich Geprüfter Betriebswirt" ermöglicht, die Fachoberschulreife, eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem einschlägigen Ausbildungsberuf einschließlich des Berufsschulabschlusses und eine praktische Berufstätigkeit im Ausbildungsberuf, die während der Fachschulausbildung abgeleistet werden kann. Staatlich Geprüfte Betriebswirte können Prüfungen zum Bilanzbuchhalter oder Steuerfachwirt absolvieren.

Die Familienkasse lehnte den Antrag des Klägers vom 18.4.2016 ab, ihm ab Juli 2013 Kindergeld zu gewähren, weil T sich bereits in einer Zweitausbildung befunden habe und einer schädlichen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Das FG wies die Klage auf Kindergeld für T für Juli 2013 bis September 2015 als unbegründet ab (FG Münster, Urteil vom 23.5.2017, 1 K 2410/16 Kg, Haufe-Index 11032535).

 

Entscheidung

Die Revision war unbegründet. T erfüllte zwar von September 2013 bis September 2015 die Voraussetzungen eines kindergeldrechtlichen Berücksichtigungstatbestandes, da sie von September 2013 bis August 2014 eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen konnte und von August 2014 bis September 2015 an der Fachschule ausgebildet wurde. Der Kindergeldanspruch war aber wegen ihrer Vollzeiterwerbstätigkeit nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausgeschlossen.

 

Hinweis

1. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Unschädlich sind aber Tätigkeiten mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, Ausbildungsdienstverhältnisse und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse.

2. Der BFH hat – zunächst bei dualen Ausbildungsgängen – mit dem Begriff der mehraktigen Ausbildung geholfen. Im Falle einer mehraktigen ­Ausbildung führt nicht bereits der erste berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung, sondern erst ein nachfolgender Abschluss, wenn der erste Abschluss sich als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt. Ausbildungsmaßnahmen sind Teil einer einheitlichen Erstausbildung, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. Der erste Abschluss ist also integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs, wenn die Aus­bildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen (die gleiche Berufssparte, der gleiche fachliche Bereich) und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.

3. Der Begriff der mehraktigen Ausbildung ist durch die zwischenzeitliche Rechtsprechung ausgeweitet worden. Da formelle Ausbildungen keine Mindeststundenzahl erfordern (anders als z.B. ­Au-pair-Tätigkeiten), würden durch eine weite Auslegung des Kriteriums "enger zeitlicher Zusammenhang" auch Kinder berücksichtigt werden, die nach einem berufsqualifizierenden Abschluss ­zunächst für einen erheblichen Zeitraum (nur) vollzeitbeschäftigt sind und später neben ihrer an­dauernden Vollzeitbeschäftigung eine weiter qualifizierende Abend- oder Wochenendausbildung belegen.

4. Das Besprechungsurteil betont unter Hinweis auf die bisherige BFH-Rechtsprechung die restriktiven Anforderungen an die mehraktige Ausbildung:

  • Zeitlicher Zusammenhang: Das Kind muss nach Erlangung ei...

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