Leitsatz

Die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen bestimmt sich danach, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Liegen die Voraussetzungen für eine Vorsteuerberichtigung i. S. v. § 17 UStG vor, führt dies nicht zu einer rückwirkenden Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung. Welche Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands des § 17 Abs. 2 UStG zu stellen sind, bestimmt sich nach dem Steuerrecht und nicht nach dem Insolvenzrecht.

 

Sachverhalt

Eine GmbH hatte vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in 2008 noch Zahlungen an zwei Gläubiger geleistet und hierfür Vorsteuer geltend gemacht. Nach Anfechtung der Zahlungen gemäß § 133 bzw. § 131 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 InsO durch den Insolvenzverwalter der GmbH (Kläger) zahlten in 2010 die beiden Gläubiger aufgrund eines Vergleichs einen Teil der o.g. Zahlungen an den Insolvenzverwalter zurück. Bezüglich der aus der o.g. Rückzahlung vorzunehmenden Vorsteuerberichtigung ging

  • das Finanzamt von Masseverbindlichkeiten aus, da insoweit die Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG erst mit der nach Insolvenzeröffnung erfolgten Rückzahlung erfolgt sei.
  • der Insolvenzverwalter von Insolvenzforderungen aus. Bereits die Anfechtbarkeit einer Zahlung begründe den - aufschiebend durch die Insolvenzeröffnung bedingten - Rückgewähranspruch, so dass der zur Entstehung der Steuerforderung führende zivilrechtliche Sachverhalt vor Verfahrenseröffnung verwirklicht sei.
 

Entscheidung

Nach Auffassung des Finanzgerichts stellt die Vorsteuerberichtigung eine Masseverbindlichkeit dar und ist somit bei der Umsatzsteuer 2010 für die Masse zu berücksichtigen.

Die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und Insolvenzforderungen bestimmt sich danach, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht ist; nicht maßgeblich ist der Zeitpunkt der Steuerentstehung nach § 13 UStG. § 17 UStG regelt einen eigenständigen materiell-rechtlichen Berichtigungstatbestand gegenüber den AO-Änderungsvorschriften und führt nicht zu einer rückwirkenden Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung (BFH, Urteil v. 25.7.2012, BStBl II 2013 S. 36).

Voraussetzung für das Wiederaufleben der Forderung ist die tatsächliche Rückgewähr des Empfangenen. Vorliegend hatte der Insolvenzverwalter Zahlungen der GmbH an die beiden Gläubiger angefochten, aber 2010 lediglich teilweise Rückzahlungen vereinnahmt. Allein das Bestehen oder die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen kann nicht zum Wiederaufleben der Forderungen der Gläubiger führen. Auch ein bereits vereinnahmtes Entgelt kann uneinbringlich werden, wenn der Unternehmer verpflichtet ist, es herauszugeben, das Entgelt tatsächlich herausgibt und er den Anspruch auch nicht anderweitig durchsetzen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob die Verpflichtung zur Rückgewähr auf vertraglichen Vereinbarungen beruht oder - wie hier - aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 143 InsO. Dem Wortlaut der Verweisung in § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG auf Abs. 1 dieser Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass eine Differenzierung nach dem Grund der Rückgewähr zu erfolgen hat. Hier konnten die beiden Gläubiger aufgrund der Insolvenz der GmbH ihre infolge der Rückgewähr wiederaufgelebten Ansprüche gegen die GmbH nicht mehr durchsetzen. Sie waren damit 2010 uneinbringlich geworden. Nur insoweit hatte sich damit die Bemessungsgrundlage geändert. Die deshalb sich ergebende Vorsteuerberichtigung nach Maßgabe von § 17 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 UStG führt nicht rückwirkend zu einer Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung.

Hätte der Schuldner die Zahlungen an seine Gläubiger nicht geleistet, wären deren Forderungen zwar im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung uneinbringlich und nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG - ebenso wie der Vorsteuererstattungsanspruch des Schuldners - zu berichtigen gewesen. Der mit der Insolvenzeröffnung entstehende Vorsteuerberichtigungsanspruch wäre als eine logische Sekunde vor Verfahrenseröffnung begründet eine Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO. Allerdings bestimmt sich nach dem Steuerrecht und nicht nach dem Insolvenzrecht, welche Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands des § 17 Abs. 2 UStG zu stellen sind. Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung waren die Forderungen der Gläubiger erfüllt, wenn auch mit dem Makel der Anfechtbarkeit behaftet. Raum für eine Berichtigung der Vorsteuer nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG war somit zu diesem Zeitpunkt nicht.

 

Hinweis

Das FG-Urteil ist rechtskräftig geworden.

 

Link zur Entscheidung

Sächsisches FG, Urteil vom 15.09.2016, 2 K 234/15

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