Rz. 45

Die Doppelbelastung der ausgeschütteten Gewinne der Körperschaft beruht auf dem juristischen Trennungsprinzip, wonach die Körperschaft ein vom Anteilseigner getrenntes Steuerrechtssubjekt ist. Jedes der beiden selbstständigen Steuerrechtssubjekte hat grundsätzlich eine eigenständige wirtschaftliche Sphäre, aus der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit fließt. Diese wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einen Steuerrechtssubjekts ist grundsätzlich unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des anderen Steuerrechtssubjekts. Daraus folgt, dass allein deshalb, weil die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einen Steuersubjekts zur Besteuerung herangezogen wird, nicht notwendig die steuerliche Belastung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des anderen Steuerrechtssubjekts niedriger ausfallen muss. Rechtlich ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit jedes Steuerrechtssubjekts für sich zu sehen.

 

Rz. 46

Diese juristische Sicht wird auf das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung gestützt, wonach das Steuerrecht an das Zivilrecht anknüpfen soll. Auch das BVerfG hat in seinem Urteil v. 24.1.1962[1] die KSt als "notwendige Konsequenz aus der Verselbstständigung der juristischen Person" bezeichnet, "deren nicht ausgeschüttete Gewinne sonst überhaupt steuerfrei bleiben würden". Die unmittelbare Erfassung dieser Gewinne bei den Anteilseignern würde einen Durchgriff durch die juristische Person und damit einen Eingriff in ein grundlegendes Prinzip unserer Rechtsordnung darstellen. Ein solcher Eingriff ist nach Auffassung des BVerfG nur im engsten Rahmen und aus dringlichsten Gründen zulässig.

 

Rz. 47

Betriebswirtschaftlich und finanzwissenschaftlich ergibt sich jedoch ein anderes Bild. Wird nicht auf die Steuerrechtssubjekte abgestellt, sondern die insgesamt vorhandene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, führt die körperschaftsteuerliche Doppelbelastung dazu, dass eine in einer Körperschaft erwirtschaftete wirtschaftliche Leistungsfähigkeit insgesamt höher besteuert wird als die in einem Einzelunternehmen (einer Personengesellschaft) erzielte. Betriebswirtschaftlich, und nach dem Postulat der rechtsformneutralen Besteuerung, ist dieser Unterschied kaum zu rechtfertigen. Wenn die Besteuerung der verschiedenen Rechtsformen unterschiedliche Belastungen zur Folge hat, besteht die Gefahr, dass bestimmte Formen der wirtschaftlichen Betätigung nicht nach der wirtschaftlichen Notwendigkeit, sondern nur aus Gründen der Steueroptimierung, gewählt werden. Das führt zu einer betriebswirtschaftlich suboptimalen Unternehmensstruktur, die die Gefahr von Fehlallokationen in sich birgt.

 

Rz. 48

Aus betriebs- und finanzwissenschaftlicher Sicht lassen sich sogar in Zweifel ziehen, ob es richtig ist, die Körperschaft als eigenes Steuersubjekt anzusehen. Hinter jeder Körperschaft stehen letztlich natürliche Personen, denen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit über die Zeit hinweg zuzurechnen ist (Gewinnausschüttungen, letztlich bei Liquidation, vgl. Rz. 10). Die Körperschaft hat daher nur eine "wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auf Zeit", d. h. letztlich mündet ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in die der natürlichen Person ein. Bei dieser Sichtweise hat die Körperschaft keine eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sondern vermittelt lediglich die durch ihre Teilnahme am Lieferungs- und Leistungsverkehr geschaffene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit den Gesellschaftern, ähnlich wie eine Personengesellschaft (§ 8 KStG Rz. 26ff.). Es kann daher durchaus infrage gestellt werden, ob diese wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei der sie vermittelnden Körperschaft, bei der sie nur temporär, aber nicht endgültig verbleibt[2], überhaupt steuerwürdig ist. So vertrat der Wissenschaftliche Beirat beim BMF in seinem Gutachten zur "Reform der direkten Steuern" v. 11.2.1967 (Heft 9 der Schriftenreihe des BMF) die Auffassung, wirtschaftlich seien auch die von den juristischen Personen nicht ausgeschütteten Gewinne den Anteilseignern als Vermögenszuwachs und damit als Einkommensbestandteil zuzurechnen. Folgerichtig müssten daher die juristischen Personen wie Personengesellschaften besteuert werden. Nur wegen unüberwindbarer praktischer Schwierigkeiten sei eine unmittelbare Erfassung der von juristischen Personen einbehaltenen Gewinne bei den Anteilseignern nicht möglich. Das gegenwärtige Körperschaftsteuerrecht, das auf dem Trennungsprinzip beruhe, sei mit erheblichen Nachteilen verbunden, insbesondere

  • einer von der Rechtsform abhängigen unterschiedlichen Belastung der Gewinne,
  • einer Benachteiligung der Eigenfinanzierung gegenüber der Fremdfinanzierung,
  • einer unzureichenden Attraktivität der Beteiligungswerte für eine breite Vermögensbildung.
 

Rz. 49

Der Grund für diese Mängel wurde im Prinzip einer selbstständigen Besteuerung der Gewinne juristischer Personen gesehen. Jedoch war das Ergebnis dieser Überlegungen, dass eine unmittelbare Zurechnung nicht ausgeschütteter Gewinne einer juristischen Person bei ihren Anteilseignern nicht...

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