Rz. 70

In ständiger Rspr.[1] wird als Tatbestandsmerkmal der verdeckten Gewinnausschüttung eine Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung der Körperschaft angenommen. Sie liegt vor, wenn ohne die Vornahme der fraglichen Handlung bzw. bei Vornahme der unterlassenen Handlung das Vermögen der Körperschaft höher gewesen wäre als es tatsächlich ist.

 

Rz. 70a

Die Bedeutung des Begriffs "Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung" liegt nicht so sehr in der Definition der "Vermögensminderung", da es unzweifelhaft ist, dass eine Vermögensminderung auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führt. Ihre Bedeutung liegt vielmehr darin, dass die "verhinderte Vermögensmehrung" der Vermögensminderung gleichgestellt wird. Damit werden die Chancen der Vermögensmehrung, die steuerlich der Körperschaft zuzuordnen sind und die wirtschaftlich einen eigenständigen Wert haben, in den Schutzbereich der verdeckten Gewinnausschüttung einbezogen, z. B. der Körperschaft zuzuordnende Geschäftschancen. Die Erfassung der verhinderten Vermögensmehrung im Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung bedeutet weiter, dass auch der entgangene Gewinn zur verdeckten Gewinnausschüttung zählt.

 

Rz. 70b

Die Einbeziehung der verhinderten Vermögensmehrung in die verdeckte Gewinnausschüttung ist aus systematischer Sicht mit dem Argument kritisiert worden, dadurch würden Elemente einer "Soll-Ertragsteuer" in das Recht der verdeckten Gewinnausschüttung hineingetragen, da ein Soll-Ertrag, nicht aber ein wirklicher Ertrag, besteuert werde.[2] M. E. ist dieser Kritik nicht zu folgen, solange der verdeckten Gewinnausschüttung nur das unterworfen wird, was die Körperschaft als reale Vermögensmehrung (also als Ist-Ertrag) erzielt hätte, wenn die verdeckte Gewinnausschüttung nicht vorgenommen worden wäre. Eine verdeckte Gewinnausschüttung aufgrund verhinderter Vermögensmehrung kann nur in der Höhe und nur in dem Zeitpunkt besteuert werden, in dem die Vermögensmehrung, wäre die Handlung, die als verdeckte Gewinnausschüttung eingeordnet wird, nicht bzw. entsprechend den Marktverhältnissen vorgenommen worden, realisiert worden wäre. Würde die verhinderte Vermögensmehrung nicht in den Schutzbereich der verdeckten Gewinnausschüttung einbezogen, wäre der gesetzliche Auftrag aus § 8 Abs. 3 KStG, die Sphäre der Einkünfteerzielung von der Gewinnausschüttung abzugrenzen, in erheblichem Umfang verfehlt. Es wäre dann möglich, bei der Körperschaft vorhandenes, nach Bilanzierungsgrundsätzen aber noch nicht ausgewiesenes bzw. realisiertes Vermögen steuerneutral auf den Gesellschafter zu übertragen. Durch den Begriff der verhinderten Vermögensmehrung wird das Vermögen der Körperschaft mit seinem tatsächlichen Wert geschützt, nicht nur in Höhe des bilanziellen Ausweises.

 

Rz. 71

Maßstab dafür, ob eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung vorliegt, ist ein Vergleich des bilanziellen Vermögens der Körperschaft vor und nach der vorgenommenen bzw. unterlassenen Handlung. Die Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung knüpft daher an die Systematik der steuerlichen Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich (Bilanzierung) an.[3] Veräußert die Körperschaft etwa ein Wirtschaftsgut zum Buchwert, obwohl der Verkehrswert höher ist, handelt es sich nicht um eine Vermögensminderung. Das Buchvermögen der Körperschaft ist gleich geblieben, auch wenn sich ihr tatsächliches Vermögen vermindert hat. Es handelt sich vielmehr um eine unterlassene Mehrung des (buchmäßigen) Vermögens, weil das buchmäßige Vermögen der Körperschaft bei Vereinbarung angemessener Bedingungen höher gewesen wäre.

Wird ein zinsloses Gesellschafterdarlehen ohne rechtliche Verpflichtung vorzeitig zurückgezahlt und muss, um die Rückzahlung zu finanzieren, ein verzinsliches Bankdarlehen aufgenommen werden, liegt in den zu zahlenden Zinsen eine Vermögensminderung, allerdings nur in Höhe des für das jeweilige Wirtschaftsjahr zu zahlenden Zinsbetrags. Es liegt dann in jedem Folgejahr eine verdeckte Gewinnausschüttung in Höhe der zu zahlenden Zinsen vor. Die Auswirkungen der verdeckten Gewinnausschüttung werden dadurch über die Jahre gestreckt. Stattdessen kann die Auswirkung der verdeckten Gewinnausschüttung auch in einem Einmalbetrag erfasst werden. Dies kann dadurch geschehen, dass auf eine marktübliche Vorfälligkeitsentschädigung abgestellt wird, bei der der Zinsnachteil für die ganze Laufzeit des Gesellschafterdarlehens in einem Einmalbetrag als verdeckte Gewinnausschüttung berücksichtigt wird. Insoweit liegt eine verhinderte Vermögensmehrung vor, da ein ordentlicher Geschäftsführer die freiwillige Rückzahlung nur gegen eine marktübliche Vorfälligkeitsentschädigung vorgenommen hätte.[4]

 

Rz. 71a

Im Ergebnis ist die Unterscheidung zwischen Vermögensminderung und verhinderter Vermögensmehrung nicht von praktischer Bedeutung, da beide Fälle steuerlich gleich behandelt werden. Beispiele für Vermögensminderungen und unterlassene Vermögensmehrungen sind in...

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