Rz. 31

Einmalige Vermögensanfälle infolge eines Erwerbs von Todes wegen oder einer Schenkung unter Lebenden unterfallen keiner Einkunftsart des § 2 Abs. 1 Nrn. 1–7 EStG. Damit sind Überschneidungen zwischen der Einkommensteuer und der Erbschaft- und Schenkungsteuer im Regelfall ausgeschlossen; ein und dieselbe Handlung kann nicht zugleich Einkommensteuer und Erbschaft- oder Schenkungsteuer auslösen.[1] Insbesondere fehlt es bei Vermögensvorteilen, die ein Stpfl. durch eine der Einkommensteuer unterliegende Erwerbshandlung erzielt, an der Freigebigkeit i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. ErbStG.[2] Auch bei einer zu Lebzeiten des Erblassers entstandenen Einkommensteuer kann eine Kollisionsproblematik nicht auftreten. Hatte der Erblasser die Einkommensteuer noch zu seinen Lebzeiten entrichtet, so ist in entsprechendem Umfang eine Minderung seines Vermögens eingetreten. Hat der Erbe die Steuerschuld zu entrichten, liegen insoweit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abziehbare Erbfallschulden vor.[3] Nunmehr sind nach der BFH-Rechtsprechung[4] auch Steuerschulden für das Todesjahr des Erblassers als Nachlassverbindlichkeiten abziehbar.

Eine vom Erblasser bestimmte Testamentsvollstrecker-Vergütung unterliegt i. d. R. in vollem Umfang der Einkommensteuer.[5]

 

Rz. 32

Aus der in Rz. 31 angeführten BFH-Rechtsprechung lässt sich zwar die grundsätzliche Tendenz ableiten, eine Doppelbelastung mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer möglichst zu vermeiden.[6] Doch trifft der Befund von Crezelius[7] zu, dass es für die Abgrenzung beider Steuern derzeit an einer kodifizierten Kollisionsregelung mangelt. Ob eine solche aus Grundrechten (z. B. aus Art. 3 Abs. 1 GG) hergeleitet werden kann[8], erscheint zweifelhaft. Die Rspr. verneint jedenfalls eine grundsätzliche Verpflichtung des Gesetzgebers, alle Steuern zur Vermeidung von Lücken oder von Mehrfachbelastung aufeinander abzustimmen.[9]

Deshalb muss es gegenwärtig bei dem Befund bleiben, dass sich Erbschaftsteuer und Einkommensteuer nicht grundsätzlich ausschließen, also in rechtlich zulässiger Weise nebeneinander anfallen können.[10] Zur Mehrfachbelastung mit Einkommensteuer und Erbschaftsteuer kommt es z. B. dann, wenn die für den Gewerbebetrieb eines Stpfl. (z. B. Altenheim) bestimmte Erbschaft ertragsteuerlich als Betriebseinnahme zu versteuern[11] und ferner auch der Erbschaftsteuer unterworfen ist. Hauptsächliches Anwendungsfeld einer Doppelbelastung ist der Erwerb von Vermögensgegenständen, die latent mit Einkommensteuer belastet sind.[12] Diese Doppelbelastung wird durch § 35b EStG der durch Art. 5 ErbStRG in das EStG aufgenommen und am 1.1.2009 in Kraft getreten ist, auf der Ebene der Einkommensteuer gemildert. Die Vorschrift entspricht in der Sache dem früheren § 35 EStG a. F., der bis zum Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden war. Die definitive Doppelbelastung mit Erbschaft- und Einkommensteuer für die Zeit zwischen Aufhebung des § 35 EStG a. F. und Einfügung des jetzigen § 35b EStG ist nach der BFH-Rechtsprechung rechtmäßig.[13] Für die Schenkungsteuer gilt § 35b EStG hingegen nicht.[14]

 

Rz. 33

Die Anwendung des § 35b EStG ist auf Fälle beschränkt, in denen beim Erben Einkünfte tatsächlich mit Einkommensteuer belastet werden, die zuvor als Vermögen oder Bestandteil von Vermögen bereits der Erbschaftsteuer unterlagen. Die Vorschrift erlangt praktische Bedeutung vor allem bei der Veräußerung oder Entnahme einzelner Wirtschaftsgüter oder der Veräußerung oder Aufgabe eines ganzen Gewerbebetriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils nach § 16 EStG. Hier kommt es – anders als nach der früheren Bewertung mit den Buchwerten – wegen der nunmehr gebotenen Bewertung mit dem gemeinen Wert zur Aufdeckung von stillen Reserven. Die einkommensteuerliche Entlastung durch § 35b EStG erfolgt durch eine prozentuale Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer; der nach § 35b S. 2 EStG zu berechnende Ermäßigungsbetrag ergibt sich aus dem Verhältnis der festgesetzten Erbschaftsteuer zum steuerpflichtigen Erwerb.[15]

 

Rz. 34

Eine weitergehende Beseitigung oder Minderung der Doppelbelastung mit Einkommensteuer und Erbschaftsteuer könnte grundsätzlich auch auf der Ebene der Erbschaftsteuer herbeigeführt werden. Für eine solche erbschaftsteuerrechtliche Lösung fehlt es jedoch an einer gesetzlichen Grundlage, weil eine latente Ertragsteuerbelastung des Nachlassvermögens bei dem Erwerber aufgrund des Stichtagsprinzips und der Systematik des ErbStG nicht berücksichtigt werden kann.[16] Für eine verfassungskonforme Auslegung des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG dürfte insoweit kein Raum sein.[17] Auf der Ebene der Erbschaftsteuer dürfte eine Beseitigung der Doppelbelastung nur in Betracht kommen, wenn das Stichtagsprinzip aus Gründen des Leistungsfähigkeitsprinzips oder des Art. 14 Abs. 1 GG aufgeweicht würde.[18] Das BVerfG[19] hat jedenfalls die Nichtabzugsfähigkeit latenter Einkommensteuer bei der Erbschaftsteuer aus Gründen zulässiger Typisierung als zulässig angesehen, wenn die darauf beruhende Mehrbelastung mit Erbsc...

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