Rz. 564

Bis zum 30.6.2016 bestanden keine besonderen Bewertungs- und/oder Verschonungsvorschriften für Familienunternehmen. Das BVerfG[1] hat die Einführung solcher Regelungen nicht verlangt.

 

Rz. 565

Die allgemeine Bestimmung des Bewertungsgesetzes, wonach Verfügungsbeschränkungen bei der Ermittlung des gemeinen Werts nicht zu berücksichtigen sind (§ 9 Abs. 2 S. 3 und Abs. 3 BewG), erweist sich gerade bei Familienunternehmen als problematisch. In den Gesellschaftsverträgen vieler Familienunternehmen wird die Möglichkeit der freien Verfügung über die Gesellschaftsanteile regelmäßig (mehr oder weniger stark) eingeschränkt. Der einzelne Gesellschafter kann somit den Wert seines Anteils durch einen Verkauf nicht bzw. nur sehr eingeschränkt realisieren.[2] Diese verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit wird bei der Bewertung aber nicht berücksichtigt.

 

Rz. 566

Der Regierungsentwurf vom September 2015 (BT-Drs. 18/5923) sah keine Änderung der allgemeinen Bewertungsvorschriften vor (insb. nicht von § 9 BewG). Gleichwohl hat die Bundesregierung versucht, den Anliegen der Familienunternehmen in gewisser Weise Rechnung zu tragen. Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, die allgemeine Grenze für Großerwerbe ("Prüfschwelle") von 26 Mio. EUR auf 52 Mio. EUR zu verdoppeln, wenn der Gesellschaftsvertrag bestimmte Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen enthält. Diese Zielsetzung wurde grundsätzlich begrüßt, nicht aber die geplante Umsetzung. Die vorgeschlagene Regelung wurde allgemein als zu unbestimmt, nicht praktikabel und nicht verfassungsgemäß kritisiert. Die Voraussetzungen waren zudem in der Praxis kaum zu erfüllen. Die Verdopplung der Prüfschwelle sollte zudem davon abhängig sein, dass die Beschränkungen bereits 10 Jahre vor und 30 Jahre nach der Entstehung der Steuer gelten.

 

Rz. 567

Die Neuregelung wurde in dem Regierungsentwurf u. a. wie folgt begründet (BT-Drs. 18/5923, S. 24):

Zitat

Familiengeführte Unternehmen weisen innerhalb der deutschen Unternehmensstruktur regelmäßig die Besonderheit auf, dass eine vergleichsweise starke Kapitalbindung der Gesellschafter in den Unternehmen erfolgt. Dies führt auch zu einer stärkeren Unabhängigkeit der Unternehmen vom Kapitalmarkt. Insgesamt ist die Eigenkapitalquote von Familienunternehmen tendenziell höher, was zu einer größeren Stabilität dieser Unternehmen in Krisenzeiten beiträgt. Bei eigentümergeführten Unternehmen hat der Gesellschafterkreis somit typischerweise eine wichtige Funktion als Kapitalgeber im Rahmen der Innenfinanzierung und ist wirtschaftlicher Ankerpunkt für die nachhaltige Unternehmensfortführung und zu Sicherung von Beschäftigung. Dies ist aus internationaler Sicht für größeres Unternehmen unüblich und zeichnet die deutsche Unternehmenskultur aus.

Die Unternehmensführung bei solchen Unternehmen ist typischerweise auf die langfristige Sicherung und Fortführung des Unternehmens ausgerichtet. Dies schließt häufig einen freien Handel der Gesellschaftsanteile aus. Vor allem in großen familiengeführten Unternehmen sind gesellschaftsvertragliche Bestimmungen vorzufinden, wie Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen. Durch die gesellschaftvertraglichen Beschränkungen erhöht sich das Verschonungsbedürfnis der Erwerber begünstigungsfähigen Vermögens, dem durch eine pauschal höhere Prüfschwelle von 52 Millionen Euro Rechnung getragen wird. Die pauschale Erhöhung bei kumulativem Vorliegen von Entnahme-, Abfindungs- und Verfügungsbeschränkungen soll dem erhöhten Bedürfnis für eine Verschonung unbürokratisch nachkommen. Um einen bürokratischen Ermittlungsaufwand in jedem Einzelfall und damit verbundene Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, erfolgt im Wege der Typisierung eine Erhöhung der Prüfschwelle um 100 Prozent.

Zur Vermeidung missbräuchlicher Gestaltungen müssen die gesellschaftsvertraglichen Beschränkungen den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen sowie zehn Jahre vor und 30 Jahre nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 9 ErbStG) vorliegen. Nur wenn solche gesellschaftsvertraglichen Beschränkungen über einen längeren Zeitraum bestehen, ist ein erhöhtes Verschonungsbedürfnis anzuerkennen. Wie auch bei der Ersatzerbschaftsteuer für Familienstiftungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) soll die Frist von 30 Jahren einer durchschnittlichen Generationenfolge entsprechen. Dabei wird typisierend unterstellt, dass diese gesellschaftsvertraglichen Beschränkungen nicht auf dem Willensentschluss der am Übertragungsvorgang beteiligten Personen gründen.

Satz 8 sieht dazu eine besondere Anzeigepflicht des Erwerbers sowie eine besondere Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist vor.

 

Rz. 568

Der Bundesrat hat sich in seiner Stellungnahme vom September 2015 (BT-Drs. 18/6279) zu der geplanten Neuregelung nicht näher geäußert und auch die Empfehlung seiner Ausschüsse für eine Verkürzung der Bindungsfrist von 40 Jahren (BR-Drs. 353/1/15, S. 4) nicht aufgegriffen.

 

Rz. 569

Gleichwohl wurde die angedachte Neuregelung für "familiengeführte Unternehmen" im weiteren Gesetzgebungsverf...

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