Rz. 272

§ 11 Abs. 2 BewG spricht von "Verkäufen", also einer Mehrzahl von Veräußerungsvorgängen. Daraus hatte der BFH zunächst den Schluss gezogen, dass die Ableitung des gemeinen Werts aus einem einzigen Verkauf nicht möglich sei.[1] In seinem Urteil vom 5.3.1986 hat er diese Auffassung jedoch aufgegeben.[2] Hiernach kann auch ein einziger Verkauf die Grundlage für die Ermittlung des gemeinen Werts bilden, wenn sich der erzielte Preis im gewöhnlichen Geschäftsverkehr durch den Ausgleich widerstreitender Interessen von Verkäufer und Käufer gebildet hat und wenn es sich nicht nur um den Verkauf eines Zwerganteils handelt.[3]

Eine allgemeingültige Grenze, bis zu der ein Zwerganteil vorliegt, lässt sich nicht bestimmen. Entscheidend ist, ob die rechtlichen Vereinbarungen und die tatsächlichen Gegebenheiten den Schluss zulassen, dass der Anteil im Hinblick auf die geringe Höhe zu einem Preis verkauft wurde, der nicht dem gemeinen Wert der restlichen Anteile entspricht.[4]

In der Literatur wird zwar befürwortet, den Zwerganteil nach festen prozentualen Grenzen zwischen 1 % und 10 % zu bestimmen.[5] Eine solche Grenzziehung lehnt der BFH jedoch unter Hinweis darauf ab, dass der bei einem Anteilsverkauf vereinbarte Kaufpreis regelmäßig von mehreren Faktoren (z. B. Ertragsaussichten und Vermögen des Unternehmens, Anzahl der Kaufinteressenten, Beteiligungsverhältnisse bei der Kapitalgesellschaft, Interessen der Vertragsbeteiligten) und nicht nur von der prozentualen Höhe des verkauften Anteils abhänge. Für den Geschäftsverkehr beim Handel mit Aktien an den deutschen Börsen sei gerade kennzeichnend, dass die Nominalumsätze im Verhältnis zum Grundkapital der Gesellschaften sehr gering seien. Wenn es aber für den typischen Markt des Wertpapierhandels charakteristisch sei, dass der "Marktpreis"der Aktien großenteils aufgrund sehr geringer Umsätze zustande komme, könnten für die Ableitung des gemeinen Werts von Aktien aus freien Verkäufen i. S. d. § 11 Abs. 2 BewG nicht allein deshalb ungewöhnliche Verhältnisse angenommen werden, weil der Nennwert der umgesetzten Papiere nur einen geringen Bruchteil des Grundkapitals der Gesellschaft ausmache.[6]

Verkauft ein Gesellschafter nicht seine gesamte Beteiligung, sondern nur Anteile daran, die im Verhältnis zum gesamten Stammkapital geringfügig seien, kann der Verkauf dennoch zur Ableitung des gemeinen Werts der restlichen Anteile geeignet sein.[7] Auch die Höhe der Anteile, die nach dem Gesellschaftsrecht einen Minderheitenschutz genießen[8], kann nach Ansicht des BFH nicht als Anhalt für das Vorliegen eines Zwerganteils dienen, weil der Minderheitsgesellschafter – insbesondere beim Verkauf an einen anderen Gesellschafter – dennoch einen Preis erzielen könne, der den gemeinen Wert der übrigen Geschäftsanteile widerspiegele.[9] Hiernach lässt sich die Frage, ob der Verkauf eines Zwerganteils vorliegt, nur aufgrund einer Gesamtabwägung beantworten. Dabei kann auch der Umstand eine Rolle spielen, dass der verkaufende Gesellschafter zugleich Gesellschafter der GmbH ist, weil die Stellung als Geschäftsführer die Stellung des Gesellschafters verstärkt und deshalb davon ausgegangen werden kann, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer seine Geschäftsanteile üblicherweise nicht unter Wert verkauft.[10]

Beim Verkauf von Beteiligungen, die die Grenze des Zwerganteils nicht übersteigen, kann der gemeine Wert nur aus einer Mehrzahl von Verkäufen abgeleitet werden. Mehrere Verkäufe reichen aber auch dann aus, wenn sie insgesamt nur einen kleinen Teil des Stamm- bzw. Grundkapitals betreffen.[11]

 

Rz. 273

Obwohl der Wortlaut des § 11 Abs. 2 BewG an Rechtsvorgänge i. S. d. § 433 Abs. 1 S. 2 BGB anknüpft und in den meisten Fällen des entgeltlichen Anteilserwerbs ein Rechtskauf zugrunde liegt, kommt es nicht auf die Rechtsform des Erwerbs an. Soweit das Geschäft unter den Bedingungen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs zustande gekommen sind, kann auch ein nicht in die Form des Rechtskaufs gekleideter Erwerbsvorgang zur Ableitung des gemeinen Werts der Anteile herangezogen werden. Darum handelt es sich, wenn im Zuge einer Kapitalerhöhung ein in die Gesellschaft eintretender Dritter neue Anteile an einer GmbH übernimmt[12] oder wenn die Gesellschafter einer Personengesellschaft einen neuen Gesellschafter gegen Leistung einer Bareinlage in die Gesellschaft aufnehmen. Entsprechendes gilt, wenn Gesellschafter gegen Abfindung aus der Gesellschaft ausscheiden.[13]

Die Annahme eines verkaufsähnlichen Vorgangs kommt auch bei der freiwilligen Einziehung eines (Teil- Geschäftsanteils) in Betracht, weil der einziehungswillige Gesellschafter das Angebot der Gesellschaft zur Einziehung nur annehmen wird, wenn er den Einziehungskurs für marktgerecht hält.[14]

 

Rz. 274

Obwohl § 11 Abs. 2 BewG die Bewertung nicht börsennotierter Anteile regelt, kommen als Bewertungsgrundlage auch Verkäufe an der Börse in Betracht. Zu denken ist zum einen an Anteile, die weder zum Handel im regulierten Markt zugelassen noch in den Freiver...

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