Rz. 84

Die Freiheit des Kapitalverkehrs gilt nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 63 Abs. 2 AEUV auch für den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und dritten Ländern (Drittstaaten).[1] Daher sind die Grundsätze der Rspr. des EuGH zur Freiheit des Kapitalverkehrs zwischen Mitgliedstaaten grundsätzlich auch auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern anzuwenden. Die Freiheit des Kapitalverkehrs steht einer Regelung eines Mitgliedstaats über die Berechnung von Erbschaftsteuern entgegen, die für den Fall des Erwerbs eines im Gebiet dieses Staates belegenen Grundstücks durch Erbanfall vorsieht, dass der Freibetrag auf die Steuerbemessungsgrundlage dann, wenn der Erblasser und der Erwerber zum Zeitpunkt des Erbfalls ihren Wohnsitz in einem Drittland (wie im Vorabentscheidungsverfahren der Schweizerischen Eidgenossenschaft) hatten, niedriger ist als der Freibetrag, der zur Anwendung gekommen wäre, wenn zumindest eine dieser beiden Personen zu diesem Zeitpunkt ihren Wohnsitz in dem genannten Mitgliedstaat gehabt hätte.[2] Dementsprechend ist für den Erwerb eines inländischen Grundstücks im Erbwege durch einen in der Schweiz ansässigen Erben in gemeinschaftsrechtkonformer Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG in gleicher Weise wie im Fall eines der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegenden gebietsansässigen Erben der Steuerfreibetrag in Höhe von 500.000 EUR zu gewähren.[3] Die entscheidende Weichenstellung in der Entscheidung des EuGH ist es, den Sachverhalt dem Wirkungsbereich der Kapitalfreiheit zu unterstellen und nicht dem der Niederlassungsfreiheit. Damit hätte die Entscheidung nur noch anders ausfallen können, wenn die Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsfreiheit gerechtfertigt gewesen wäre; eine Rechtfertigung hat der EuGH nicht erkennen können.

In der Rechtssache Hünnebeck[4] befasste sich der EuGH mit der durch § 2 Abs. 3 ErbStG[5] neu geschaffenen Optionsmöglichkeit. Diese ist mit der Kapitalverkehrsfreiheit unvereinbar, als bei Ausübung der Option – abweichend von § 14 ErbStG – alle Erwerbe, die der Erwerber in den letzten 10 Jahren vor und 10 Jahren nach dem Vermögensanfall von derselben Person anfallenden Erwerbe als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln und entsprechend § 14 ErbStG zusammenzurechnen sind.[6]

Zugleich überträgt der EuGH seine Rspr. zur Ausübung von Wahlrechten[7] auf die Erbschaftsteuer: Ein Wahlrecht, durch dessen Ausübung ein mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbarer Zustand herbeigeführt werden könnte, vermag die Unionsrechtswidrigkeit nicht abzuwenden. Dies gelte erst recht in dem Fall, dass die unionsrechtswidrige Rechtsfolge zur Anwendung kommt, wenn der Stpfl. keine Wahl trifft.[8]

 

Rz. 84a

Dagegen sah der EuGH die Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Minderung des Freibetrags des § 16 Abs. 2 ErbStG bei beschränkter Steuerpflicht als gerechtfertigt an, da dies zur Wahrung der Kohärenz des Steuersystems erforderlich ist. Der Freibetrag kann gem. § 16 Abs. 2 ErbStG in dem Umfang beansprucht werden, der dem Umfang der von Deutschland ausgeübten Steuerhoheit im Verhältnis zum Umfang des gesamten Nachlasses entspricht.[9] Dagegen ist die aus § 10 Abs. 6 S. 2 ErbStG folgende Nichtabzugsfähigkeit von Verbindlichkeiten aus Pflichtteilen mit der Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 Abs. 1 AEUV unvereinbar. Im Ergebnis unterliegen Erbschaften zwischen Gebietsfremden, die sich auf im Inland belegene Grundstücke beziehen, einer höheren steuerlichen Belastung als Erbschaften, an denen zumindest ein Inländer beteiligt ist. Dies ist weder zur Wahrung der Kohärenz des deutschen Steuersystems erforderlich, noch wird damit eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten gewährleistet.[10]

 
Hinweis

Der Gesetzgeber wird die Regelung des § 10 Abs. 6 S. 2 ErbStG zeitnah anzupassen haben.

 

Rz. 84b

Offen ist die Vereinbarkeit des § 13d ErbStG mit der Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 Abs. 1 AEUV. Gem. § 13d ErbStG wird ein im Privatvermögen gehaltenes, zu Wohnzwecken vermietetes Grundstück, das im Inland, in der EU oder dem EWR belegen ist, nur mit 90 % seines Werts bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage angesetzt. Dagegen wird ein entsprechendes in einem Drittland – im Vorlagefall: Kanada – belegenes Grundstück mit seinem vollen Wert angesetzt.[11]

 

Rz. 85

Einschränkungen sind allerdings vorprogrammiert. So hat der EuGH bereits entschieden: Wenn die Regelung eines Mitgliedstaats die Gewährung eines Steuervorteils von der Erfüllung von Verpflichtungen abhängig macht, deren Einhaltung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass Auskünfte von den zuständigen Behörden eines Drittlands eingeholt werden, ist es folglich grundsätzlich gerechtfertigt, dass dieser Mitgliedstaat die Gewährung dieses Vorteils ablehnt, wenn es sich, insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung dieses Drittlands zur Vorlage der Informationen, als unmöglich erweist, diese Auskünfte von diesem Land zu erhalten.[12]

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