Rz. 45

Für die Auslegung des ErbStG gelten zunächst die für Steuergesetze allgemein anzuwendenden Regeln.[1] Jeder gesetzliche Tatbestand des ErbStG ist nach seiner eigenen, spezifischen Teleologie auszulegen.[2] Eine bestimmte Auslegungsmethode oder gar eine Wortlautinterpretation schreibt § 20 Abs. 3 GG nicht vor. Zur Feststellung des objektiven Wortlauts dienen die grammatische, systematische, teleologische und historische Auslegung.[3]

 

Rz. 45a

Spezielle Auslegungsfragen ergeben sich aus den vielfältigen Anknüpfungen des ErbStG an das Zivilrecht.[4] Über unmittelbare Bezugnahmen auf zivilrechtliche Begriffe bzw. Rechtsinstitute hinaus finden sich im ErbStG allerdings auch eigenständige Begriffsbildungen (z. B. die "freigebige Zuwendung", § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Da die Erbschaft- und Schenkungsteuer eine an bürgerlich-rechtliche Vorgänge anknüpfende Verkehrsteuer ist[5], ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht bzw. nur nach Sachlage des Einzelfalls anwendbar.[6]

 

Rz. 46

Aus der zivilrechtlichen Vorprägung eines im ErbStG verwendeten Begriffs folgt für die Auslegung der jeweiligen Steuernorm noch kein prinzipieller Vorrang des zivilrechtlichen Begriffsverständnisses; es besteht weder eine Vermutung für ein übereinstimmendes noch für ein abweichendes Verständnis.[7] Deshalb ist für die jeweilige Einzelvorschrift des ErbStG nach den gängigen Auslegungsmethoden zu ermitteln, ob eine Identität des zivilrechtlichen und erbschaftsteuerlichen Begriffsinhalts besteht.[8]

 

Rz. 47

Soweit das ErbStG unmittelbar auf zivilrechtliche Vorschriften verweist (z. B. in § 3 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 ErbStG), ist für die Auslegung der verwendeten Begriffe grundsätzlich das bürgerliche Recht maßgebend. Die Steuerpflicht beim Erwerb von Todes wegen kann sich nur aufgrund rechtlicher Beurteilung ergeben; eine Erbschaft in wirtschaftlichem Sinne gibt es nicht.[9] Deshalb kann § 3 ErbStG nicht nach Maßgabe einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise über den Wortsinn der steuerbegründenden Tatbestände hinaus ausgedehnt werden. Ein Vorrang des bürgerlichen Rechts besteht auch bei den Steuertatbeständen des § 7 ErbStG soweit sie unmittelbar auf das bürgerliche Recht Bezug nehmen (z. B. § 7 Abs. 1 Nrn. 4–6 ErbStG), es die Bestimmung des Gegenstand des Erwerbs[10] oder die Person des Beteiligten an einer freigebigen Zuwendung[11] betrifft. Die freigebige Zuwendung unter Lebenden i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist hingegen ein spezifisch (schenkung-)steuerlicher Begriff, der primär nach steuerlichen Gesichtspunkten auszulegen ist.[12]

 

Rz. 48

Die Ausrichtung des ErbStG auf steuerbare Vermögensbewegungen hat auch Auswirkungen auf die Zurechnung von Wirtschaftsgütern. Im Bereich des ErbStG kommt ein wirtschaftliches Eigentum i. S. d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO grundsätzlich nicht in Betracht, weil diese Vorschrift Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist und mit den vom ErbStG vorausgesetzten Zurechnungsregelungen des bürgerlichen Rechts kollidiert.[13]

 

Rz. 49–59

einstweilen frei

[1] Dazu Drüen, in Tipke/Kruse, AO, § 4 Rz. 200 ff.; Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO, § 4 Rz. 135 ff.
[5] Vgl. Rz. 4.
[7] BVerfG v. 27.12.1991, 2 BvR 72/90, BStBl II 1992, 212; Jülicher, in T/G/J, ErbStG, Einf. Rz. 25; ablehnend zum Begründungsansatz des BVerfG: Meincke, StuW 1992, 188; Moench, ErbStG, Einf. Rz. 75 f.
[8] Zur Qualifikation von Erwerben kraft ausländischen Zivilrechts vgl. § 2 ErbStG Rz. 22 und § 3 ErbStG Rz. 62 f.
[12] Zutr. Jülicher, in T/G/J/G, ErbStG, Einf. Rz. 31.

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